Quelle: http://www.welt.de/wams_print/article1746354/Auf_der_Suche_nach_Deutschlands_neuer_Elite.html

 

Welt am Sonntag, 02.03.2008

Auf der Suche nach Deutschlands neuer Elite

Julia Friedrichs besuchte Elitekindergärten, Eliteschulen, Elite-Unis. Sie entdeckte eine Parallelgesellschaft, die keine Scheu hat, ihren Führungsanspruch anzumelden.

Alle wollen Elite. "Auch eine demokratische Gesellschaft braucht Eliten", sagt Gerhard Schröder; "Vom Tabuwort ist der Elitenbegriff inzwischen fast zu einem Schlüsselbegriff in der Bildungsdiskussion aufgestiegen", meint Jürgen Rüttgers;"Ich habe schon von Elite gesprochen, als das andere noch ganz schlimm fanden", lobt sich Annette Schavan.

Christopher Jahns, der Rektor der privaten Wirtschaftshochschule "European Business School", schlägt die Beine übereinander: "Viele haben ja ein Problem mit dem Begriff Elite. Wir gar nicht", sagt er. Unter ihm gehen einige Studenten durch den Innenhof der Business School, ein ehemaliges Schloss im Rheingau. 10 000 Euro zahlen sie für das Semester an der privaten Elite-Uni. Elf, zwölf Stunden dauern hier die Uni-Tage. Kein Bummelstudium, sondern eines im Managerrhythmus. Dafür gibt es mit dem Abschluss ein Karrierenetzwerk und einen Durchschnittsverdienst von 50 000 Euro im ersten Job.

"Unsere Schüler sind ungeschliffene Edelsteine", sagt Eva-Maria Haberfellner, Rektorin des Internates Schloss Salem. Rund 30 000 Euro kostet der Schulbesuch in Salem pro Jahr. Dafür bekommen die Schüler optimale Lernbedingungen, kleine Klassen und mit dem Abiturzeugnis ein Buch mit den Namen von 3700 ehemaligen Schülern, das Netzwerk der Altsalemer. Die Schule, sagt die Rektorin, sei eine Eliteschule, auch wenn die Noten ihrer Schüler nicht herausragend seien. "Wenn ich jetzt nur das Schulische betrachten würde", ergänzt ein Schüler, "würde ich klipp und klapp sagen: Wir sind keine Eliteschule. Aber wir versuchen im Gegensatz zu anderen Schulen, den ganzen Menschen zu bilden und nicht nur fachlich. Ich denke, das macht das Elitäre hier aus. Das bildet einfach eine Gesellschaftselite, diese Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen."

"Education for tomorrow's leaders" steht auf der elektronischen Tafel, an der gleich das Lernprogramm in Deutschlands erster Kleinkindschule "FasTracKids" anläuft. Die Kinder lernen hier am Wochenende Englisch, aber auch Rhetorik, Kommunikation oder Marketing. Hier soll der Grundstein gelegt werden für einen erfolgreichen Lebensweg. Viele der kleinen Schüler gehen während der Woche in englischsprachige Privatkindergärten. 1800 Euro zahlt einer der Väter für die Frühförderung seiner drei Kinder. Gerade ein ressourcenarmes Land brauche so etwas wie Elite, sagt eine Mutter.

Drei Stationen einer Reise. Einer Reise, die mich dem Kern des Begriffes Elite näherbringen sollte. Was heißt das: Elite? Wer gehört dazu? Und was meinen die, die sagen: Wir brauchen Elite? Ein Jahr lang bin ich auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen durch Deutschland gefahren. Ich habe Elitekindergärten, Eliteinternate, Eliteakademien und Eliteuniversitäten besucht. Simple, klare Antworten habe ich nicht gefunden, aber ich habe in eine Welt blicken können, die ganz anders funktioniert als die Welt, die ich bisher kannte. Eine Welt, in der man nicht den Kindergarten, die Schule, die Uni besucht, die nahe liegen, gemeinsam mit allen in seiner Straße, in seiner Stadt, aus seinem Jahrgang.

Es war die Welt des besonderen Bildungsweges, die Welt der neuen Elite. An den sehr teuren Internaten sind es vor allem die Eltern der klassischen Oberschicht, die ihren Kindern ein Aufwachsen an schönen Orten und den Zugang zu funktionierenden Netzwerken ermöglichen wollen. In den Kindergärten, an den Universitäten waren es aber auch viele Mittelschichtseltern, die sparen, um ihrem Kind die besondere Bildung bezahlen zu können; die Angst haben, dass der normale Bildungsweg nicht zum Erfolg führt, dass das Kind in der unterbesetzten Kita, in der großen Klasse, an der Massen-Uni untergeht. In allen exklusiven Einrichtungen steigt die Nachfrage rasant.

Ich habe junge Menschen getroffen, für die Elite-Sein kein Tabu ist, sondern Tatsache; die wissen, dass sie für sich mehr beanspruchen können als der Durchschnitt, die lernen: Ihr werdet besonders gefördert. Um euch müht man sich. Ihr dürft die wichtigen Posten in der Gesellschaft übernehmen.

Manche zögern, diesen Anspruch zu formulieren. Andere schreien ihn, vor Selbstbewusstsein strotzend, heraus. Manche versprechen, auf ihrem Weg nach oben die, die unten stehen, nicht zu vergessen. Andere haben für sie nur ein verächtliches "Strengt- euch-halt-mehr-an" übrig. Auch die Begründungen, die sie auf ihr Reservierungsschildchen für einen Platz unter der Elite schreiben, unterscheiden sich. "Leistung" steht auf vielen. "Verantwortung" auf anderen. "Geld und Herkunft" schreiben die dritten. Jeder so, wie er es braucht. Und das ist das Grundproblem des Elitebegriffs. Er ist schillernd und unscharf zugleich. Das macht es so leicht, ihn zu instrumentalisieren.

So wird das Wort Elite wieder hervorgezerrt, um das Bildungssystem umzukrempeln. Plötzlich ist es chic, sich Elite zu nennen. Das Wort ist dehnbar genug, um fast alle Motive unter sich zu verbergen. Verpflichtung, Verantwortung, Vorbild, Mut und Wahrheitsliebe: Das alles sei Elite, hörte ich und sah, dass Elite auch Exklusivität, Ungerechtigkeit, Sonderrechte und Abgrenzung heißt.

An einer privaten Wirtschafts-Uni traf ich Aadish, der als Kind mit seiner Familie aus dem Iran geflohen war. Über ein Stipendium hatte er den Weg in die Elite geschafft. Er sei das einzige Unterschichtskind an seiner Uni, sagte er, zumindest sei er nach über einem Jahr noch keinem anderen begegnet. Seine Mitstudenten kämen alle aus eher reichen Familien.

Aadish war anders als die, die ich ansonsten traf. Sehr ruhig, grübelte viel. Auch über Eliten. "Ich denke, dass Elite ein euphemistisches Wort für Macht ist. Wer in der Elite ist, der hat die Macht und legitimiert die Macht dadurch, dass er Elite ist. Man sagt ja, Elite sei notwendig für eine Gesellschaft, damit sie sich weiterentwickelt. Was man nicht sagen will: Es gibt Schichten, die haben die Macht, die machen die Elite aus, und die wollen die Macht auch behalten."

Von Julia Friedrichs erschien soeben: "Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen" bei Hoffmann und Campe

 

 

   
 
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