Die Geschichte meiner, nein - unserer  Liebe

Ich schreibe sie hier auf, als Ersatz für ein Buch, das Andrea, meine Frau gerne noch geschrieben hätte. Sie führte viele Jahre Tagebuch und schrieb so Erlebtes auf.

Darauf basierte auch ihr Buch >Blasenkrebs - und das Leben geht weiter< aus dem Jahr 2005.

 

 

 

 2006 

Mir wurde geraten, meine jetzige Situation nieder zu schreiben, um sie leichter oder besser verarbeiten zu können. Wobei ich mich aber in keinster Weise beschwere, denn das vergangene Jahr war trotz Allem das glücklichste, intensivste und zugleich härteste in meinem Leben. Und doch hat sich mein Dasein allein dieses Jahres wegen gelohnt. Wenn ich Alles vorher gewusst hätte und mich noch einmal entscheiden könnte, dann würde ich keinen Deut anders machen!

 

 

Wie und wo fange ich an?

Tatsache ist, dass ich im Moment - es ist Sonntagabend, der 1. Oktober 2006- hier in Drelsdorf in einer ursprünglich für uns Beide gedachten Wohnung sitze. Wir Beide, das wären meine Frau und ich gewesen. Dass nun alles anders ist, werde ich noch schreiben.

Ausdrücklich: Die ist kein Entschuldigungsschreiben für Irgendwen, sondern dafür gedacht, meine Gefühle und mein Leben neu zu ordnen. Ich erwarte auch kein besonderes Verständnis, denn das habe ich selbst noch nicht. Ich werde nun versuchen, diese unsere Geschichte einigermaßen chronologisch zu Papier zu bringen.

Im Herbst 2002, am 31.10. verliebte ich mich in meine langjährige Arbeitskollegin Eva, die aber aus Gründen, die ich erst heute verstehe, dieses Gefühl nicht erwidern konnte. Sie hatte sechs Jahre ihren Mann, den sie heute immer noch liebt, mit dem Wissen, dass es eine unheilbare Krankheit ist und unweigerlich zum Tod führt gepflegt. Dieser 31.10. war der 1. Todestag von Fred. Sie hatte nach Dienstschluss diesen Tag zuhause still für sich begangen und wir trafen uns anschließend in einem Lokal zum Essen. Dieses Trauerjahr war nun vorüber und so offenbarte ich mich. Ich gab aber nicht auf und hoffte immer noch, dass sie anderen Sinnes werden könnte und bezog sie in fast alle meine Aktivitäten ein. Ich kaufte bei Ebay ein Granatkreuz und ließ sie entscheiden, welches ich nehmen sollte. Die Kette dazu auch, denn ich zeigte ihr am Bildschirm eine Auswahl. Nun gut, ich bestellte die von ihr ausgesuchte Kette und bat den Anbieter um Vorabsendung, da ich sie so schnell wie möglich haben wollte. Es stellte sich heraus, dass es eine Frau war, die mir antwortete. Ich versprach ihr, den Betrag sofort zu überweisen und setzte hinter meinen Namen ein *Treuherzigschau*. Diesen Namen habe ich bis heute behalten.

Aber der Reihe nach.

Es entstand ein überaus netter Mailkontakt bis zum 8. Januar, als ich die Nachricht von Andrea - so hieß sie- bekam, dass bei ihr Blasenkrebs festgestellt wurde.

Von da an begleitete ich sie aus der Ferne (sie lebte in der Nähe von Flensburg in Großenwiehe) mit inzwischen täglichen Telefonaten, Briefen und Päckchen.

Warum? Ohne es selbst zu merken oder mir darüber klar zu sein liebte ich diese Frau schon damals. Im Nachhinein war es auch schon ein Wink des Schicksals, dass ich als Nichtangehöriger der Erste war, der nach der Op beim Aufwachen mit ihr telefonieren durfte!

 

Sie überstand diese schwere Zeit, ging nach 8 Wochen als gesunde Frau ihrem Dienst im Kinderheim nach und wir legten das Versprechen ab, bei vollständiger Gesundung einen Strandspaziergang zu machen. Es war irgendwie ein Gelübde, das wir taten.

Eine andere Entwicklung kam mir schon aus der räumlichen Entfernung überhaupt nicht in den Sinn.

Wir schafften es aus zeitlichen Gründen nicht bis zum September letzten Jahres. Es kam immer etwas dazwischen. Wir waren ja beide im Berufsleben, ich hatte nebenher noch meine Auftritte als Musiker und so verging die Zeit. Andrea schrieb ein Buch über ihre Geschichte als Krebspatientin. Ich bekam ein Exemplar und war sehr gerührt, als ich mich in diesem Buch als "THS" (Treuherzigschau) wiederfand.

Inzwischen erzählten wir uns aus der Ferne unsere alltäglichen Sorgen und Probleme, nach der Lektüre des Buches wurde auch meine Annahme zur endgültigen Gewissheit: Andrea hatte die letzten 20 Jahre fast ausschließlich Beziehungen zu Frauen.

Der Kontakt riss trotzdem nie ab, wir hörten mal mehr, mal weniger von einander.

Im Sommer 2003 begriff ich, dass aus Eva und mir nie ein Paar werden würde. Sie nannte mir noch einmal ihre Gründe, die ich wie schon erwähnt damals nicht nachvollziehen konnte. Aus einer Trotzreaktion lernte ich in einer Partnerbörse Nana aus Osnabrück kennen. Wir waren Beide blauäugig und glaubten, dass wir zusammen gehörten. Sie zog zu mir nach Pyrbaum Anfang 2004.

Es stellte sich aber als sehr großer Fehler und Irrtum heraus. Wir haben uns gegenseitig aufgerieben und beschlossen, uns zu trennen. Nana weigerte sich, Kontakte mit anderen Menschen aufzubauen und so lebte auch ich in dieser Zeit sehr zurück gezogen. Auch vermied ich Gespräche oder Telefonate. Wer gibt schon gerne Fehler zu? Scheinheiligkeit ist mir ein Greuel und nur telefonieren um zu klagen mache ich heute noch nicht. Jammern war noch nie mein Fall. Wir kamen überein, dass sie nach einem 4-wöchigen geplanten Amerikaurlaub bei ihrer Stiefmutter im Oktober vergangenen Jahres wieder nach Osnabrück gehen würde.

Andrea und ich beschlossen, unseren Strandspaziergang einzulösen unter dem Motto: Wenn wir es jetzt nicht schaffen, dann wird es niemals geschehen.

Und so nützte ich die Zeit ohne Nana, nach Großenwiehe zu fahren. Ich nahm also den Nachtzug und kam am Freitag, den 16. September um 6 Uhr am Morgen in Flensburg an.

Sie holte mich am Bahnhof ab. Natürlich wussten wir aus gemailten Bildern was uns erwarten würde, aber es ist nun einmal etwas Anderes, sich persönlich gegenüber zu stehen. So vertraut wir auch nach fast 3 Jahren durch Telefonate oder Briefen schon waren, so "fremdelten" wir im ersten Moment.

Wir fuhren zu ihr nach Hause und ihre Eltern begrüßten mich mit einer Herzlichkeit, die mich ganz verlegen machte. Sie kannten mich schon aus Erzählungen von Andrea und wir hatten auch schon miteinander telefoniert, wenn ich Andrea nicht erreichen konnte und mir deshalb ab und zu Sorgen machte.

Wir verbrachten einen schönen Tag und Andrea fuhr mich Abends zu einem Bauernhof, wo sie für mich eine Unterkunft ausgesucht hatte. Für den nächsten Tag hatten wir unseren Strandspaziergang geplant, der wunderschön und unvergesslich war. Da hatten wir auch schon unsere Scheu abgelegt und ich spürte, dass ich diese Frau trotz ihrer anders gelagerten Gefühlswelt tief und innig liebte. Am Abend waren wir bei den Eltern zu Gast.

Andrea hatte ein Akkordeon besorgt und wir verbrachten einen wunderschönen Abend mit Musik und Gesprächen.

Danach fuhr sie mich wieder zur Pension. Kaum war sie weggefahren, rief ich schnell bei ihr an und bedankte mich für diesen wundervollen Tag. Ich wollte ihr eigentlich auf den Anrufbeantworter sprechen, dass ich sie liebte, traute mich aber dann doch nur in Andeutungen sagen, was ich für sie empfand. Ich hatte ja logischerweise Angst, sie könnte dieses Gefühl nicht erwidern und der Sonntag wäre nicht mehr schön und harmonisch.

Am Vormittag trafen wir uns für eine Fahrt nach Husum. Sie erwähnte meinen Anruf mit keinem Wort, doch zum ersten Mal gingen wir bei schlechtem Wetter Hand in Hand durch den Regen. Unter dem Schirm hielt ich sie später im Arm. Andrea schlug vor, besser auf den Fischmarkt nach Flensburg zu fahren. Dort angekommen stellten wir fest, dass wir wettermäßig vom Regen in die Traufe gekommen waren. Nach einer Weile stellten wir uns am Nordertor für eine Zigarette etwas unter, als sie für mich völlig überraschend sagte:

"Ich glaube, ich habe mich auch ein bisschen in Dich verliebt"

Bis heute kann ich nicht beschreiben, was in diesem Moment in mir vorging. Ich nahm sie nur ganz behutsam wie den kostbarsten Schatz in die Arme und traute mich nur, sie ganz zart zu küssen.

Sie sagte mir später, dass genau dies das Richtigste war, was ich in diesem Moment tun konnte. Hätte ich sie wie ein Macho überfallen, wäre alles vorbei gewesen, bevor es begonnen hätte. Wir verbrachten einen im wahrsten Sinne des Wortes traumhaften Tag zusammen. Nachdem ich ja am Montag wieder in den Süden fahren musste, gingen wir nach diesem ereignisreichen Tag am Abend zu einem Abschiedsessen in ein schönes Lokal nach Drelsdorf. Es ist nicht weit von der Pension entfernt und ich schlief auch diese Nacht in Högel. Heute sitze ich beim Schreiben dieser Zeilen in der gleichen Straße! Wie gesagt gibt es keine Zufälle.

Als mich Andrea am Montagmorgen zur Bahn brachte, eröffnete sie mir, dass sie in drei Wochen zu mir nach Pyrbaum kommen und mit mir ihren Urlaub verbringen würde. Diese Wochen waren unvergleichlich und nicht zu beschreiben! In meinem Alter noch einmal Schmetterlinge im Bauch ohne Ende! Uns war schon in dieser Zeit klar, dass wir heiraten würden. Man muss sich das vorstellen: Andrea mit ihren vorherigen Neigungen und der dazu gehörigen Überzeugung, niemals im Leben zu heiraten und ich, der ja schon mehr als einmal verheiratet und für den als gebranntes Kind dies ebenfalls absolut ausgeschlossen war, dachten nur noch daran, uns für den Rest unseres Lebens zu binden!

Am 6.10. brachte ich Nana nach Osnabrück und es war ein schmerzlicher Abschied. Es ist vielleicht schwer zu verstehen, aber ich bin nun einmal so.

Andrea kam am 9.10. mit dem Zug in Nürnberg an, wir fuhren zu mir und verbrachten die erste Nacht zusammen. Wir hatten unsere Dual-Seelen und die größte Liebe unseres Lebens gefunden und waren unbeschreiblich glücklich.

Tags darauf kauften wir in Nürnberg Verlobungsringe und ich werde nie das verständnislose Gesicht der Verkäuferin vergessen, als Andrea darauf bestand, außer meinem Namen und des Datums auch "THS" eingravieren zu lassen. Sie weiß bis heute nicht, welche Bedeutung dies haben sollte.

Am 14.10. machte ich Ihr dann mitten im Auftritt auf dem Kreuzfahrtschiff "Amadeus" den Heiratsantrag. Sie wusste absolut nichts vorher, denn beim Kauf der Ringe habe ich der Verkäuferin das Datum auf einem Zettel zugeschoben. Der Manager des Schiffes war eingeweiht und schenkte uns zur Feier des Tages eine Nacht auf dem Schiff mit Champagner in der Kabine. Als die Amerikaner begriffen, dass es keine Show, sondern Realität war, wurden wir mit Herzlichkeit überschüttet und waren die Stars des Abends.

 

Wir verbrachten eine wunderschöne Zeit in Pyrbaum, Andrea lernte meine Freunde kennen und wurde überall herzlichst aufgenommen.

Bevor der Urlaub vorbei war, legten wir bei der Gemeindeverwaltung Pyrbaum den Hochzeitstermin auf den 9. Dezember fest und kamen dann zusammen nach Großenwiehe, wo ich der Form halber bei ihren Eltern um die Hand ihrer Tochter anhielt.

Weil Andrea noch im Berufsleben stand, ich selbst schon in der Freistellungsphase meiner Altersteilzeit war, entschloss ich mich, nach unserer Heirat in den Norden zu ziehen. Es war nicht von vornherein klar, sondern wir überlegten, ob es nicht auch eine Alternative wäre, zusammen im Süden zu bleiben. Auch Dieter, meinem Musik-Partner konnte ich nicht klipp und klar sagen, wie die Zukunft aussehen würde, da wir es selbst noch nicht wussten und die Engagements auf den Schiffen und die Zukunft der "Zwaa Striezi" auf dem Spiel stand. Die Entscheidung fiel eigentlich erst im letzten Moment.

Nun hatte Andrea schon im Sommer wegen der Krebsnachsorge einen Untersuchungstermin im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke vereinbart. Wir fuhren also zusammen dahin. Ich hatte in Pyrbaum einige Dinge zu erledigen und so blieb sie allein zurück und ich fuhr in den Süden.

Am 14. November bekam ich einen Anruf von Andrea mit der fürchterlichen Nachricht, dass sich eine neuerliche Geschwulst gebildet hätte.

Ich werde diese Worte nie in meinem Leben vergessen, als sie mit tränenerstickter Stimme sagte:

"Und wir wollten doch heiraten!"

Meine Reaktion war, dass ich antwortete:

"Wir heiraten trotzdem!"

 

 

 

Die Ärzte boten uns an, sofort zu operieren, damit wir anschließend heiraten könnten. Andrea fragte, ob es so eilig sein müsse, das wurde verneint. So entschieden wir uns, erst zu heiraten und dann zusammen in die Klinik zu fahren.

Nun fuhren wir von Herdecke nach Pyrbaum, um die Hochzeitsvorbereitungen zu treffen. Andrea liebte Pferde sehr und so bestellte ich heimlich eine vierspännige Hochzeitskutsche. Ich schaffte es auch, ihre absolut liebsten Blumen – rote Tulpen- für sie als Brautstrauß und zur Dekoration für die Hochzeitsfeier zu bekommen.

Auch von der anschließenden kleinen Feier im engsten Kreis wusste sie vorher nichts.

 

Es kam der Tag der Hochzeit. Wir gaben uns morgens um 9 Uhr vor einem guten Bekannten von mir, der auch Standesbeamter ist, das Jawort. Andrea war jetzt meine Frau! Sie war das Glück meines Lebens.

 

Eva, zu der uns inzwischen eine überaus innige Freundschaft verband war Trauzeugin.

Meine – inzwischen unsere- Freunde warteten am Zielort der Kutsche in Seligenporten in einem Lokal. Ich hatte sie gebeten, ihre Fahrzeuge versteckt zu parken, damit sie nichts merkt. Ich fragte sie am Ende der Fahrt ganz harmlos beim Aussteigen, ob wir nicht noch etwas trinken wollten. Sie stimmte zu und die Überraschung war perfekt, als sie den Raum betrat und alle Freunde da waren!

 

Helmut, Dieter und ich machten Musik. Andrea war die glücklichste Frau der Welt und ich mein Leben lang nie so verliebt wie in Andrea, mein Weibi!

 

Sämtliche Sorgen verschwanden in den Hintergrund. Wir genossen die Zeit von Pyrbaum und fuhren erst am 21. Dezember hier in den Norden, denn ich hatte am 20. Dezember den letzten Auftritt des Jahres zu bestreiten. Andrea hat ihn miterlebt. Sie genoss es und war jedes Mal überglücklich und stolz, wenn sie dabei sein konnte.

Weihnachten und den Jahreswechsel feierten wir mit Leni und Friedhelm, ihren Eltern. Es war eine sehr schöne und harmonische Zeit und wir richteten Friedhelms Geburtstag am 3. Januar mit einem fränkischen Buffett aus. Seine Freunde waren begeistert.

An einem dieser Tage fragte ich Andrea, ob sie noch diese Ebay-Geschichte in ihrem PC gespeichert hätte. Ich wollte wissen, wann wir das erste Mal Kontakt hatten.

Es war der 9. Dezember 2002! Ich kann mich nur wiederholen: Es gibt keine Zufälle.

 

Nun suchten wir auch eine Unterstellmöglichkeit für meinen Hausstand, denn ihre Wohnung war ja komplett eingerichtet. Wir fanden einen riesengroßen leerstehenden Stall bei weitläufigen Bekannten.

Kurz darauf besuchten wir auch Silke und Birger in Drelsdorf, die Andrea aus der Arbeit im Kinderheim kannte. Birger erzählte, dass dieses Haus verkauft werden müsse, weil die Belastung nicht mehr tragbar wäre. Er ist nämlich arbeitslos und nur auf der Mindestlohn-Basis im Heim beschäftigt. Und obwohl er sein ganzes Leben in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, bekommt er dieses Hauses wegen keinen Cent!

Andrea fragte nach, wie viel denn im Monat fehlen würden. Birger rechnete und gab die Antwort, dass es ca. 200€ wären. Da entschlossen wir uns spontan, diese leerstehende Wohnung im Dachgeschoß zu übernehmen. Sie sollte als Ausweichquartier oder als Ferienwohnung bei Besuchen unserer Freunde dienen. Auch ist es natürlich für meine Möbel viel, viel besser gewesen. Dies ist die Erklärung, weshalb ich hier in Drelsdorf diese Geschichte niederschreibe.

 

So verging die Zeit bis zum 15. Januar, dem Tag unserer Abreise nach Herdecke mit Besuchen bei ihren Freunden und Tagestouren sehr schnell. Es musste ja auch an Vieles gedacht werden, denn bei 500 Km kann man nicht einfach mal so heimfahren.

 

Wir kamen im Laufe des Tages in der Klinik an. Andrea kannte ja schon von vor 3 Jahren viele Ärzte und Pflegepersonal. Sie hatte auch ein Zimmer für mich im Gästehaus reserviert. Die geplante OP für den 18. Januar wurde deshalb verschoben, weil sich die Ärzte nicht so richtig über die Vorgehensweise einig waren. Die Tage vergingen mit Untersuchungen, mit Beratungen der Ärzte, die richtige Operationsmethode zu finden. Als diese Unklarheiten behoben waren, ließen die dafür erforderlichen Titanteile auf sich warten. Bis ein paar Tage vor dem Eingriff durfte meine Frau bei mir übernachten. Es war eine schöne Zeit mit Spaziergängen zu den Pferdekoppeln, die rings um die Klinik lagen und wir haben sie trotz der sorgenvollen Gedanken, die uns natürlich immer wieder befielen genossen.

 

Kurzum, die OP fand dann erst am 30. Januar statt. Die drei Chefärzte der Klinik operierten meine Frau gemeinsam und das über 10 Stunden lang. Es waren die längsten Stunden meines Lebens!

Man bot mir an, in das Zimmer meiner Frau ein zweites Bett zu stellen, damit ich immer bei ihr sein konnte. Ich war einfach selig über dieses Angebot, auch wenn es vom Preis her erheblich höher lag. Aber was macht das in einer solchen Situation! Es war nun möglich, dass ich meiner Andrea rund um die Uhr das Leben und Liegen nach der Operation zu jeder Sekunde erleichtern und ihr alle Wünsche sofort erfüllen konnte. Sie hat nicht immer nach einer Schwester rufen müssen, sondern wurde von mir versorgt, was für sie schöner war und auch vom Personal gerne angenommen und wohlwollend registriert wurde.

 

Auch in Herdecke versuchten wir immer aus der jeweiligen Situation das Beste und Schönste für uns zu machen und wir schafften das auch. Andrea musste sich, da der Pouch (die Ersatzblase) bei der OP verletzt und genäht werden musste, alle 1 ½ Stunden selbst “pouchen” (kathederisieren). Nach dem sie ja nicht aufstehen konnte, taten wir das zusammen. Bedeutete aber auch immer nur maximal 2 Stunden Schlaf am Stück. Aber wir haben morgens um 4 unsere “Blaue Stunde” zelebriert. Ich bin Kaffee holen gegangen und wir haben geredet. Es waren wunderschöne Gespräche!

 

Es gab auch lustige Momente, als eine Schwester kam, um Andrea zu waschen. Originaltext:

Andrea: “Das brauchen Sie nicht tun, das macht mein Mann.”

Schwester: “Kann der das auch?”

Andrea: “Natürlich, der kennt sich doch da besser aus als Sie!”

 

 

Die Zeit verstrich und es kam der Tag der Abreise nach Prien am Chiemsee zur Reha. Wenn ich mich richtig erinnere, war es der 24. Februar, als wir zur Zwischenstation nach Pyrbaum aufbrachen, denn ohne Pause durch zu fahren wäre eine zu große Strapaze für mein Weibi gewesen.. Wir blieben eine Nacht bei Freunden in Übersee, bevor wir am 28. in Prien am Chiemsee eintrafen.

Ich fuhr zurück nach Pyrbaum, um meine Wohnung aufzulösen und meinen Hausstand nach Drelsdorf zu schicken.

 

Meinen ganz persönlichen Abschied bei verschiedenen “Freunden”  hatte ich innerlich schon vollzogen. Meine Bayreuther Clique, die sowohl bei meinem 50-jährigen Musiker-Jubiläum als auch bei meinem 60. Geburtstag erschienen war und auch andere Weggefährten sah ich ohne es zu wollen nun in einem anderen Licht. Wenn ich es mir recht überlege, ohne Unrecht zu tun, war es in den letzten Jahren (wenn man von Geburtstagswünschen absieht ohne Ausnahme!) immer ich, der sich meldete. Die Telefonate –speziell Siggi und Herrmann- wurden immer oberflächlicher und belangloser. Der stereotype Schlusssatz “Wir hören wieder von einander” bedeutete nur: Wenn ich nicht anrufe, tut sich absolut Nichts.

Auch Stefan und Elke, zu der ich eine wirklich innige Verbindung hatte, warteten trotzdem auch immer, bis ich anrief.

Ich bekam zwar Silvester 2005 noch eine SMS von den Beiden, da hatte ich aber schon irgendwie meine Konsequenzen gezogen.

Auch Heinz, einer der besten Gitarristen, die ich persönlich kenne macht darin keine Ausnahme. Nana und ich unternahmen einmal eine kleine Ausflugstour in meine alte Heimat Kulmbach. Wir machten einen Einkehrschwung bei Heinz, es wurde ein schöner Stopp in Bayreuth, aber hier dasselbe wie bei den anderen auch: Das wars.

Sicher habe auch ich meine Fehler gemacht. Ich versuche nicht, mich vor mir selbst zu rechtfertigen, aber:

Die größten Gewissensbisse habe ich bei Michael, meinem ältesten Sohn. Er wurde im Alter von 5 Jahren von dem zweiten Mann meiner Exfrau adoptiert und ich hatte bis zu seinem 31. Lebensjahr keinen Kontakt zu ihm. Diese andere Erziehung und Lebensweise haben ihn zwar geprägt, vom Wesen her ist er mir absolut ähnlich. Vielleicht ist dies auch der Grund, weshalb wir massive Verständigungsschwierigkeiten haben. Im letzten Jahr wollte ich mich melden, aber die Telefonnummer und die Adresse hatte ich nur in meinem Handy gespeichert. Irgendwann bekam ich ein neues Handy und eine neue Karte wegen des neuen Formats. Bevor ich reagieren konnte, hatte Andrea das neue Handy – sie war von Handy’s magisch angezogen- installiert und die alte Karte zwischen Daumen und Mittelfinger geschrottet. Sie versprach mir zwar, mit allen Kräften die Adresse oder Telefonnummer heraus zu finden, es kam nicht mehr dazu. Natürlich hätte ich meine Ex-Schwiegertochter Doris anrufen können, aber ich wollte den Vorwürfen aus dem Weg gehen, die unweigerlich gekommen wären. Und die ganze Geschichte am Telefon erklären? Nein, das war mir auch zuviel, zumal ich wirklich Sorgen genug hatte. Bei ihr hatte ich oft den Eindruck, dass nur die eigenen Belange zählen. Bei den wenigen Telefonaten kam es mir immer so vor, als ob sie sich meine Schwierigkeiten anhörte, aber nicht ernst nahm. So nach dem Motto: Wie der Sohn, so auch der Vater. Sie hatte natürlich recht wenn sie sagte, ich würde mich zuwenig um meine Enkeltochter kümmern. Nur: Ich hatte einfach zuviel andere Sorgen, ob erst Nana, dann die finanziellen Sorgen und dann meine Liebe zu Andrea und dieses unvergessliche Jahr. Außerdem habe ich mich noch nie als Opa gefühlt und werde das auch nie tun. In meinem Bekanntenkreis habe ich das ähnlich erlebt. Es wurde eine geniale Lösung gefunden. Das Enkelkind sagt nicht Opa, sondern Sir. Damit könnte sogar ich leben. Ich merke, dass ich abschweife und kehre zu unserer eigentlichen Geschichte zurück.

Nein, doch noch nicht, ohne Dieter zu erwähnen. Er ist eine besondere Enttäuschung oder auch nicht. Er war in den Zeiten unserer musikalischen Partnerschaft immer ein Egoist. Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Erfolge von uns nicht gewesen wären, wenn Dieter dies Alles hätte tun müssen, was ich für uns übernommen habe. Dieter jammerte jedes Jahr aufs Neue, er würde lieber weniger Musik machen. Er hätte ja schließlich nicht den Vorruhestand gewählt, um mehr zu tun. Als die Entscheidung zugunsten Großenwiehe fiel, war Dieter beleidigt. Nicht ich, sondern jemand aus meinem Freundeskreis hat ihn einmal als “Diva” bezeichnet. Wenn ich genau überlege, dann ist da schon etwas dran. Er meldete sich diese letzten vier Wochen kein einziges Mal. Im Gegenteil, ich rief ihn noch einmal an, weil ich glaubte, dass ich einen sehr guten Nachfolger für mich gefunden hätte. Er ließ mich am Telefon so richtig “abtropfen” und für mich war die Sache erledigt. Aber andere Menschen machen die gleichen Erfahrungen.

Peter Lautner, ein Musiker-Kollege hat das auch erlebt. “Uller”, ein begnadeter Klarinettist und genial am Saxophon, setzte sich bei Peter ins Auto, schlief bis zum Ende der Fahrt, machte Musik und kassierte die gleiche Gage wie Peter. Das kenne ich auch. Rundum: Diese Erkenntnis tat aber tut nicht mehr weh. Wie gesagt gibt es keine Zufälle und so lebe ich nun mit weniger Enttäuschungen.

Mir bleibt es nun wegen der richtigen zeitlichen Reihenfolge nicht erspart,

in Andrea’s Kalender zu schauen. Es tut sehr sehr weh, diese Aufzeichnungen zu lesen. Sicherlich habe ich ja alles miterlebt, aber nun kommt die zwar kurze, aber heftige Vergangenheit zurück.

 

Nachdem die Möbel in Richtung Norden unterwegs waren, machte ich mich auf den Weg nach Prien, um Andrea abzuholen. Als Erfolg kann man diese Reha-Maßnahme nicht bezeichnen. Die Schmerzen wollten einfach nicht weichen. Wir machten Station bei Eva zur Übernachtung

Fortsetzung folgt.

 

Ein Link, der meine Gefühle spiegelt

http://www.youtube.com/watch?v=MH-R3UYtpig

 

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