Aus der Wissenschaft

Ist Frieden möglich?

 

 


Oft höre ich die kritische Frage: Ist Frieden überhaupt möglich? Auch sind die meisten Menschen überzeugt, dass es auf dieser Welt nie Frieden geben wird, weil es immer schon Kriege gab.

Der „Spiegel“ titelte die Ausgabe 35 / 2005 mit einem Zitat von David Buss: „Mord steckt in uns!“, Soziologen um Richard Dawkins sprechen von „egoistischen Genen“ im Menschen. Nicht einmal die meisten Christen glauben an die Versprechung des Friedensreiches, obwohl sie unzählige Male die Bitte um das Reich Gottes wiederholen.

Wenn wir von der Kultur des Friedens sprechen (UN-Deklaration), dann impliziert das ein Bild vom Menschen, der zum Frieden fähig ist.

Unser Menschenbild - unser persönliches Bild vom Menschen beeinflusst nicht nur uns selbst, sondern vor allem unsere Beziehung zu anderen Menschen. Ein positives oder negatives Menschenbild, das von eigenen Erfahrungen geprägt ist, kann Sympathie und Wohlwollen oder Hass und Angst anderen gegenüber erzeugen. Darum ist es so wichtig, dass wir uns über unser Menschenbild Gedanken machen und es auch philosophisch, psychologisch und wissenschaftlich untermauern können.

Über die Frage des Menschenbildes hatten hier in Europa Kirche und Theologie Jahrhunderte lang die Oberhoheit. In den Anfängen des Christentums waren frauenfeindliche antike Vorstellungen übernommen worden, die ihre Früchte bis zu den Hexenverbrennungen getragen haben. Erst zur Zeit der Aufklärung konnte die Eigenverantwortung des Menschen, der Appell an seine Vernunft nicht mehr unterdrückt werden.

Immanuel Kants „kategorischer Imperativ“, im UN-Hauptgebäude in NY als großes Wandbild dargestellt, auch bekannt als „Goldene Regel“, lautet: „Handle nur nach der Maxime, von der du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“. Dabei blieb die Grundhaltung auf jüdisch- christlichem Fundament; das Recht eines jeden auf Leben und die Pflicht zur Unterstützung der Schwachen.

1859 publizierte Charles Darwin dann sein Buch „Über die Entstehung der Arten“ und revolutionierte das bis dahin gültige Menschenbild. Da Darwins Einfluss bis heute in den Schulunterricht unserer Kinder reicht und damit auch die anfangs erwähnte Frage der Erziehung betrifft, möchte ich kurz auf den Darwinismus eingehen. Ich möchte dabei das Thema der Entstehung des Menschen ausklammern und mich nur auf seine martialischen Ansichten über die Grundregeln der Biologie konzentrieren. Die wichtigsten biologischen Grundregeln waren für Darwin der Krieg der Natur, der Kampf ums Überleben und die Aussonderung der Schwächeren und Auslese der Tüchtigen. Der gegeneinander geführte Kampf ums Überleben ist für Darwin das entscheidende Element der natürlichen Selektion.

Darwin ging dabei auch von einer unterschiedlichen Wertigkeit der menschlichen Rassen aus und hielt deren gegenseitigen Vernichtung für den normalen Lauf der Dinge. So unterschied er den arischen Stamm von dem semitischen Stamm, allerdings ohne Wertung. Für Darwin waren medizinische und soziale Einrichtungen nur eine Begünstigung biologischer Degeneration und er erwähnte anerkennend, dass die Spartaner schon eine Selektion betrieben hätten, indem sie nicht lebensfähige Neugeborene dem Tod überlassen haben.

Wir wissen, wohin dieses Menschenbild geführt hat. In Deutschland wurde Darwin schnell akzeptiert, im eigenen Land hatte er es schwerer. Der Jenaer Zoologieprofessor Ernst Haeckel, der Mediziner Ludwig Büchner, der Freiburger Zoologieprofessor August Weismann, sowie Alfred Ploetz griffen die darwinistische Idee auf und sorgten dafür, dass sie von breiten Schichten der Gesellschaft über Mediziner, Geologen, Biologen, Publizisten, Geisteswissenschaftlern mit Begeisterung angenommen wurden. Bereits im Jahre 1905 wurde von ihnen die „Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene“ gegründet, die, wie wir wissen, eine ethische Rechtfertigung späterer Ereignisse in Europa lieferte. Wie zum Beispiel die Akademiker Baur-Fischer-Lenz in den zwanziger Jahren die Minderwertigkeit der schwarzen Rasse „wissenschaftlich“ begründeten, und sie dem Überlebenskampf überließen, wirkt sich bis heute noch in Afrika aus.

Eine große Ausnahme in dieser Zeit war der Berliner Charitè- Professor Rudolf Virchow, der sich sein Leben lang für die Volksgesundheit eingesetzt hatte.

Wenn Darwin irrt und das Leben nicht oder nur teilweise von Egoismus, Rivalität und Kampf ge­­prägt wird, was hat dann die Evolution vorangetrieben? Herausragende Wissenschaftler, unter ihnen die amerikanische Biologin Lynn Margulis, sind der Meinung, dass Begriffe wie Konkurrenz und Überlebenskampf menschliche Konstruktionen sind, die aus dem Wirtschaftsleben kommen und von Außen an die Biologie herangetragen wurden. Für die Natur sind derartige Kriterien irrelevant. Die Biologie kennt kein Erfolgsdenken, wie es die Wirtschaft beherrscht. Die neuen Forschungsergebnisse spre­chen für die so genannte K”-Idee: Nicht Egoismus, sondern Kommunikation und Ko­ope­ra­tion (K”), also miteinander reden und zusammenarbeiten, haben uns weitergebracht. Diese K”-Idee wurde zum ersten Mal von dem russischen Grafen Pjotr Aleksejewitsch Kro­potkin zu Beginn des 20. Jh. populär gemacht. In Sibirien beobachtete er fünf Jahre lang die dortige Tier- und Pflanzenwelt. Ergebnis seiner Beobachtungen: Haupt­faktor für das Überleben im rauen nördlichen Klima ist nicht Rivalität, sondern ge­gen­sei­tige Hilfe. Denn: „Wenn wir die Natur fragen, wer sind die Tüchtigsten – jene, die mit­­einander Krieg führen, oder jene, die einander unterstützen –, dann sehen wir sofort, dass je­­ne Tiere, die einander helfen, am besten angepasst sind. Sie haben bessere Chancen zum Über­leben, und sie erreichen die höchste Stufe der Intelligenz und Körperstruktur.“

Die Irrtümer der Vergangenheit, die heute in Form von Neodarwinismus, Neoliberalismus oder Soziobiologie verbreitet sind, werden also von Erkenntnissen aus Neurobiologie, Biologie und Genetik widerlegt.

Sicher verstehen Sie jetzt, warum ich so intensiv auf den Darwinismus eingegangen bin. Selbst in unserem täglichen Sprachgebrauch hat sich seine Idee eingeschlichen – oder haben Sie noch nie vom „Überlebenskampf“ gesprochen? Wollen wir Einfluss auf den Friedensprozess nehmen, so ist es wichtig, dass wir in die Erziehung und das Bewusstsein der jungen Generation eine neue Komponente einfließen lassen, die der Kooperation.

Die modere Neurobiologie gibt uns da erstaunliche Fakten in die Hand. Sie hat festgestellt, dass im Mittelhirn des Menschen ein Motivationssystem existiert, das über Nervenbahnen mit vielen anderen Hirnregionen verbunden ist, besonders mit den Emotionszentren. Wenn das Motivationssystem aktiv wird, wird der Botenstoff Dopamin freigesetzt, der ein Gefühl des Wohlbefindens auslöst, und den Menschen in einen Zustand von Konzentration und Handlungs-Bereitschaft versetzt, sowohl psychisch als auch physisch.

Auch werden zusätzlich weitere körpereigene Botenstoffe ausgeschüttet, endogene Opioide, die positive Effekte auf das Ich-Gefühl, auf die emotionale Gestimmtheit und die Lebensfreude bewirken.

Wann nun gibt unser inneres Motivationssystem diese Botenstoffe frei? Die Aufdeckung des Wozu, Wann, Wohin war selbst für die Wissenschaft verblüffend. Das natürliche Ziel der körpereigenen Motivationssysteme sind soziale Gemeinschaft und gelingende Beziehung zu anderen Menschen. Das bedeutet, Kern der Motivation ist es, zwischenmenschliche Wertschätzung, Zuneigung und Zuwendung zu finden und zu geben. Das heißt, wir sind auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen. Einen ganz besonderen Stellenwert hat dabei die Erfahrung von Liebe – sowohl in gebender als auch in empfangender Position. Eine andere besondere Form sozialer Resonanz ist das gemeinsame Lachen sowie auch Musik und Tanz.

Ein weiterer Botenstoff, Oxytozin, hilft uns, Menschen wieder zu erkennen, feste Bindungen einzugehen, die Bereitschaft, Vertrauen zu schenken, zu erhöhen. Menschen, mit denen wir gute Erfahrungen gemacht haben, aktivieren also unser Motivationssystem. Sie rufen die Sehnsucht nach mehr Interaktion hervor, wir fühlen uns zu ihnen hingezogen und halten uns gerne in ihrer Gegenwart auf.

Bei intakt gebliebenem Motivationssystem empfinden nicht nur menschliche Lebewesen durch Spiegelnervenzellen ein besonderes Spektrum der Wahrnehmung: Mitgefühl und Empathie. Der Mensch ist fähig, intuitiv dasselbe wahrzunehmen und mitzuerleben, was eine andere Person erlebt. Durch wissenschaftliche Experimente ist erwiesen, dass Menschen unter normalen Umständen nicht bereit sind, anderen Schmerz zuzufügen.

Die Motivationszentren sind von Natur aus im Menschen bereitgestellt. Aber entscheidend für die Fähigkeit, diese Systeme einzusetzen, ist unsere Kindheit. Bleiben während der Kindheit und Jugend gute Beziehungserfahrungen aus, so haben diese Menschen als Erwachsene große Schwierigkeiten in ihren Beziehungen. Das heißt, unsere Motivationssysteme funktionieren nur befriedigend, wenn sie „eingespielt“ werden. Das bedeutet, dass zur Zuwendung zu unseren Kindern gehört, sie kooperieren zu lehren. Auch für die Schule gilt, dass ohne Beziehungen keine Motivation entsteht.

Nur Kinder, die gelernt haben, nach welchen Regeln Gemeinschaft funktioniert, können das sich daraus ergebende Glück erleben. Also, Rücksichtnahme und Toleranz lehren und vorleben, ist die beste Zuwendung für die nächste Generation.

Es ist wichtig, dass wir erkennen, wo in unserer Gesellschaft und auch in uns die Konzepte des Darwinismus auftauchen. Besonders in der Wirtschaft geben der Wettstreit des angeblich Tüchtigeren, auf Auslese, Neoliberalismus ausgerichtete Konzepte den Ton an.

Wer Killerspiele wie Ego Shooter, Gewaltvideos und die Angebote der Medien an unseren Kindern und Jugendlichen mit diesem Wissen erneut unter die Lupe nimmt, sieht klar, wie sehr noch darwinistische Modelle die Erziehung beeinflussen. Wie wichtig für die Kultur des Friedens wäre es, unserer Jugend eine bessere Alternative anzubieten.

Es ist wichtig, Voraussetzungen für Beziehungen zu schaffen:

· Sehen und gesehen werden – das ist die Bereitschaft, sich zu erkennen zu geben und andere wahrzunehmen.

· Anderen Aufmerksamkeit geben, Hinwendung praktizieren

· Emotionale Resonanz – das ist die Fähigkeit, bis zu einem gewissen Grad auf die Stimmung des anderen einzuschwingen, mitzuempfinden

· Gemeinsames Handeln: das bedeutet gemeinsam mit anderen etwas konkret zu unternehmen

· Verstehen von Motivation oder Absichten, dazu sind Gespräche notwendig

Dies alles werden sie später in Partnerschaft, Familie, Beruf, Wirtschaft, brauchen. Wissenschaftliche Untersuchungen stellten fest, dass die Mutter idealerweise in den ersten drei Lebensjahren jederzeit vom Kind emotional erreichbar sein soll. Die Ergebnisse der aktuellen Hirnforschung stimmen mit der Bindungsforschung darin überein, dass die Entwicklung des Gehirns entscheidend vom Gelingen der Eltern-Kind-Bindung in diesem Zeitraum abhängt. Eine amerikanische Studie stellt fest, dass, je länger die Kleinkinder fremdbetreut werden, desto geringer ist ihre soziale Kompetenz. Sie neigen häufiger zu Konflikten mit Eltern und Erziehern, und wenden Gewalt bei Gleichaltrigen an. Die kommenden Generationen werden nur gedeihen können, wenn seelisch gesunde junge Menschen unser Erbe antreten.

Die oben beschriebenen Erkenntnisse zeigen uns, dass es im Menschen angelegt ist, einen sinnvollen Beitrag für ein größeres Ganzes zu leisten. Da jedoch bisher die meisten Menschen irgendwann im Leben Defizite auf seelischer Ebene erfahren haben, sind wir durch verschiedene Hindernisse gelähmt, dieses Bedürfnis auszuleben.

Wenn man den Symptomen genauer auf den Grund geht, wird offenbar, dass mangelnde Selbstliebe bisher meistens die Ursache für Unfrieden war, innerlich und äußerlich. Offensichtlich haben wir Menschen unsere ursprüngliche, göttliche Würde vergessen. Überall lässt sich beobachten, dass Menschen, die immer an anderen etwas zu kritisieren haben, am meisten mit sich selbst unzufrieden sind. Woher kommt das?

In falsch verstandener Selbstaufopferung stellen besonders Frauen ihre eigenen Wünsche so lange zurück, bis sie fast in Vergessenheit geraten sind. Aber statt in dieser Rolle Erfüllung zu finden, wie man es aus moralischer Sicht erwarten würde, wächst Unzufriedenheit, Frust, und Kritik, an anderen und sich selbst. Der beste Ausweg aus diesem trostlosen Dasein wäre, zu sich selbst zu kommen, die eigenen Wünsche zu erkennen und zu artikulieren.

Im Bewusstsein um unsere einzigartige Würde können wir uns erlauben, in uns zu gehen und uns zu fragen, was die eigenen Bedürfnisse sind. Wir dürfen Wünsche für uns selbst haben, sie uns erfüllen, weil wir es wert sind. Der Sinn des Lebens liegt nicht in Belohnung oder Bestrafung für irgendwelche Taten, sondern ob wir in uns das Glück gefunden haben oder nicht. Niemand außer uns selbst kann wissen, was die Bedürfnisse unseres Herzens sind und wir können von niemandem erwarten, sie uns zu befriedigen. Selbstliebe bewahrt uns davor, uns von selbstschädigenden Gedanken und Gefühlen dominieren zu lassen und macht uns unabhängig davon, wie andere uns beurteilen oder behandeln. Niemand hat das Recht, ein Urteil über uns zu fällen, uns für irgendetwas zu benützen, uns zu manipulieren oder über uns zu bestimmen. Diese Wertschätzung unserer selbst ist der Ausdruck von Selbstliebe, es ist das Wissen um die gottgegebene Würde und Schönheit und gleichzeitig die tiefste Demut.

Dieser kurze Ausflug in die Wissenschaft zeigt uns, dass Frieden Teil des menschlichen Wesens ist. Ringen um Positionen, Kompetenzgerangel, Polemik usw. machen niemanden glücklich. Wenn wir lernen, entsprechend der natürlichen Anlagen des Menschen zu handeln, werden wir erfahren, dass die beste „Droge“ für den Menschen der Mensch ist.

Aggression ist weder die Bestimmung eines Menschen, noch sein Schicksal. Die Bestimmung eines Menschen ist es, tragende Beziehungen zu finden, sie zu bewahren und zu beschützen. Wer Menschen nachhaltig motivieren will, dies ist die unabweisbare Konsequenz der neurobiologischen Daten, muss ihm die Möglichkeit geben, mit anderen zu kooperieren und Beziehungen zu gestalten. Dies hat weitreichende Konsequenzen für die Arbeitswelt, für das Führungsverhalten der Vorgesetzten und Managern, für das Medizinsystem und für die Pädagogik. Stellen wir uns vor, in den Schulen würde das gnadenlose darwinistische Ausleseverfahren abgelöst von Kommunikation und Kooperation, wie viel größere soziale Entwicklungsmöglichkeiten würden sich für die für unsere jungen Menschen auftun.

Das Streben des Menschen nach Zuwendung und Kooperation bildet den Kern des menschlichen Daseins. Kooperation war die entscheidende Voraussetzung für die Entstehung des Lebens und begleitet das Leben bis heute. Ausdruck der Suche nach dem, worauf wir in unserem tiefsten Wesen nach ausgerichtet sind, ist kulturelle Kreativität in ihren vielfältigen Formen des sozialen Zusammenwirkens. Sie umfasst die Erziehung unserer Kinder zur Menschlichkeit, das Bildungswesen, ethisches Management im Bereich der Wirtschaft und die Bereitschaft, uns in materieller und gesundheitlicher Not gegenseitig zu unterstützen. Wir haben heute die Möglichkeit, uns aus dem Alptraum des Darwinismus zu befreien. Die Alternative heißt Kooperation. Das Ergebnis gelingender Kooperation heißt Kultur des Friedens.

 

Zu Quellen und Literatur siehe auch Bücher

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