DROGENPROBLEME IM INTERNAT

Hier sagt Ihnen der Internatsexperte Ulrich Lange seine ehrliche Meinung!

 

Art. 5 Grundgesetz:

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äussern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unter-richten.

 

Tägliche Urin-Stichproben und Alkotester gehören in vielen Internaten zum Alltag

Haben die Internate das Drogenproblem jetzt wirklich im Griff?

 

Interview mit Ulrich Lange, Internats- berater der AVIB gemn.e.V. Ulrichstein. Die Fragen stellte Dankwart Ense.

 

Herr Lange, Sie gelten als einer der schärfsten Kritiker der Zustände in den deutschen Internaten. Vor al- lem die Privatinstitute der gehobe- nen Preiskategorien werben damit, den Drogenkonsum ihrer Schüler durch strenge Kontrollen nachhaltig unterbunden zu haben. Beruhigt Sie das?
Nein, das beruhigt mich in keiner Weise!
 
Warum nicht?
Weil die angesprochenen Privatinstitute in dieser Frage schon immer absolut unehrlich waren. Warum sollte man jetzt glauben, was sich zuvor immer wieder als reine Propaganda erwiesen hat?
 
Aber bezüglich der Vergangenheit ist doch eine geradezu entwaffnen- de Offenheit der Internatsreprä- sentanten festzustellen. Man gibt unumwunden zu, dass den Inter- naten in den 1970er, 1980er und 1990er-Jahren die Drogenprobleme über den Kopf gewachsen waren!? 
Diese Offenheit gilt immer nur im Rückblick auf  weit zurückliegende Zeiten und schwierige Phasen, von denen die Kundschaft glauben soll, dass sie längst überwunden seien. Ich kann mich aber noch gut der anwaltlichen Abmahnungen von Salem entsinnen, wenn wir Ratsuchende auf die dort  aktuell bestehenden und natürlich nur nachträglich eingeräumten Drogenpro- bleme hingewiesen haben.  Gegenwär- tige Probleme werden grundsätzlich ag- gressiv geleugnet, und diejenigen, die die Wahrheit verbreiteten, werden mit juristischen Schikanen eingeschüchtert. Genau diesen Methoden ist es zu- zuschreiben, dass die Aufdeckung der Missbrauchsskandale, die derzeit die Medien pausenlos beschäftigen, so lange verhindert werden konnte. Eltern, die vor der Entscheidung stehen, ihr Kind einem dieser Internate anzu- vertrauen, sind natürlich auf seriöse Auskünfte angewiesen, die die aktuell bestehenden Probleme realistisch ab- bilden. Denen nützt es wenig, wenn sich zum Beispiel die Landerziehungs- heime erst  im Rückblick geständig zeigen und dies auch nur, um damit zu prahlen, wie gut sie das Drogenproblem im Nachhinein in den Griff bekommen hätten. Es bleibt dann natürlich auch die Frage, warum man den Drogenkonsum nicht schon immer so engagiert und erfolgreich bekämpft hat, wie dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Fall sein soll.
 
Vielleicht hat man inzwischen ein- fach etwas dazugelernt?
Gelernt hat man wohl eher, die veröffentlichte Meinung durch massive Gegenpropaganda zu manipulieren und auf diesem Weg den Anschein zu erwecken, die Internate hätten den Drogenmissbrauch durch Einsatz von Alkotestern und stichprobenartige Urinkontrollen praktisch marginalisiert. Dies entspricht aber eben nicht der Wahrheit.
 
Und wie können Sie das beweisen?
Durch einschlägige Berichte von Eltern und Schülern zum Beispiel oder auch entsprechende Hinweise in Internetfo- ren, aktuelle Pressemeldungen usw.
 
Hier geht es aber doch immer nur um Einzelfälle!?
Durch die aber zumindest der juristische Anfangsverdacht begründet wäre. Es gibt aber noch eine ganze Reihe weiterer Instrumente, mit denen sich nachweisen lässt, dass die in den Medien verbreitete Frohbotschaft vom Ende der Drogenprobleme sich in der Realität nicht bestätigt.
 
Als da wären?
Sie müssen doch nur einmal sorgfältig untersuchen, aus welchen Gründen die Problematik des Drogenmissbrauchs gerade in den Internaten ein solches Ausmaß annehmen konnte. Dabei stoßen Sie zum Beispiel darauf, dass überdurchschnittlich viele Internats- schüler einen bestimmten familiären Hintergrund oder Persönlichkeitsmerk- male aufweisen, die sich in gesteigerter Suchtlabilität manifestieren. Hinzu kommen sozialstatistische Erkennt- nisse über die Einkommenssituation der Internatskundschaft, die sich auf die Möglichkeiten der Beschaffung von Drogen auswirkt, sowie Erkenntnisse über die Akzeptanz von Drogen- missbrauch in bestimmten Berufs- gruppen, Herkunftsmilieus usw., etwa hinsichtlich der Anwendung leistungs- steigernder Medikamente oder Psycho- pharmaka zum Stressabbau.
Auch die Verharmlosung sog. legaler Drogen wie Nikotin und Alkohol durch die Eltern hat in diesem Zusam- menhang großes Gewicht. Dann sind natürlich die Wirkungen des Internatslebens selbst von erheblicher Bedeu- tung; etwa unter der Fragestellung, wie transparent und kontrollierbar Internate im Einzelfall sind. Hier spielen z.B. die Gruppengrößen, die Intensität der Be- treuung, sprich: Personalausstattung, die Strukturen und organisatorischen Abläufe innerhalb des Inter-natsalltags eine enorme Rolle. Internate erzeugen ja nicht automatisch nur Wohlbefinden, sondern u.U. auch ein hohes Maß an sozialem Stress, der in der Folge dann wieder durch Drogenkonsum abgebaut wird. Hierzu gehören das Mobbing oder Bullying, wie man in England sagt. Der Gruppenzwang ist in  Erziehungsge- meinschaften ein entscheidender Faktor. Internatsschüler haben oft Angst vor Ausgrenzung, sind darauf angewiesen, in ihrer Gruppe akzeptiert zu werden.
Der heimliche Lehrplan der Internate, d.h. die Verhaltensnormen, die in der Subkultur der Jugendlichen sozusagen gegen die Intentionen der Pädagogen gesetzt und durchgesetzt werden, ist oft wesentlich wirksamer als das offizielle Erziehungskonzept des Internats. Die Übertretung von Regeln hat nicht nur den Reiz des Verbotenen, sie verschafft oft auch besondere Anerkennung unter den Gleichaltrigen, während man sich durch regelkonformes Verhalten eher isoliert und der Missachtung aussetzt. In vielen Internaten gibt es ausgesprochen mafiöse Strukturen. Da herrscht das Recht des Stärkeren. Und wehe, man wird gegenüber den tonangebenden Regelverletzern zum „Verräter“! Jeder Internatsschüler merkt ganz schnell, dass die Erwachsenen ihn in einem solchen Fall nicht schützen können.
 
Das hört sich jetzt so an, als sei Drogen-konsum im Internat geradezu systembedingt!?
Genau so stellt es sich mir im Grunde dar. Ich habe einmal für die Zeitgeschichtliche Forschungs- und Dokumentationsstelle der AVIB gemn.e.V. eine Sammlung der aussagefähigsten Fakten und Zitate zum Thema Drogen bzw. Internate zusammengestellt und war selbst überrascht, dass bereits bei flüchtigem Überlesen dieses unkommentierten Materials der Zusammenhang zwischen den Eigenschaften der typischen Internatskundschaft, den typischen Merkmalen der Internatsmilieus und einem überproportionalen Drogenkonsum förmlich ins Auge springt. Im Internat werden suchtlabile oder bereits einschlägig auffällige Kinder und Jugendliche Lebensbedingungen ausgesetzt, die den Drogenkonsum auslösen, fäördern und vielfach geradezu unvermeidlich machen.
 
Aber gegen solche Befunde stehen doch die Erfolgsmeldungen der Internate, die beispielsweise behaupten, den Konsum illegaler Drogen aufgrund von Urintests auf nahe Null gebracht und erreicht zu haben, dass kaum noch jemand wegen Haschisch- oder Alkoholkonsums relegiert werden müsse!?
Solche Aussagen sind ähnlich seriös wie diejenigen über die Notendurchschnitte der SchülerInnen privater Internatsschulen bei den Abiturprüfungen. Da gibt es eine Menge Tricks, „die Erfolgsquote gezielt vor schlechten Ergebnissen zu schützen“, wie das der unabhängige Internatsberater Peter Giersiepen vornehm ausgedrückt hat. Ähnliches spielt sich ja in England ab, wo renommierte Internatsschulen sich teilweise an den dort üblichen Rankings gar nicht mehr beteiligen, weil deren Ergebnisse durch alle möglichen Interpretationen nachträglich verfälscht werden können. Und natürlich ist es jeder Schule möglich, die eigenenStatistiken über die Zahl der bei Drogen- oder Alkoholtests überführten Missetäterso manipulieren, wie man das braucht, um sich in der Öffentlichkeit und gegenüber den Eltern als weitgehend drogenfrei darzustellen. Die Tests sind oft schon so angelegt, dass man schon sehr dumm sein muss, um den internatsinternenDrogenfahndern ins Netz zu gehen.
 
Wo liegen die Schwächen solcher Drogentests?
Ich unterstelle zunächst grundsätzlich, dass die angewendeten Testverfahren so ausgewählt und gehandhabt werden, dass man damit nicht allzu viele SchülerInnen überführt und keine ernst zu nehmenden Konsequenzen gezogen werden müssen. Denn den hierdurch verursachten Imageschaden und natürlich auch wirtschaftlichen Schaden infolge ausbleibender Anmeldungen oder fehlender Einnahmen nach massenhaften Rausschmissen kann sich kaum eine private Internatsschule leisten
Als ausreichend zuverlässig und gerichtlich verwertbar gelten eigentlich nur Bluttests, die aber zu zeitaufwändig und teuer sind. Also greift man zu Urintests, die sich hervorragend manipulieren lassen. Erst kürzlich berichtete mir der Vater einer Schülerin der Hermann-Lietz-Schule in Hessen von Beobachtungen seiner Tochter, wie dort Drogentests mit Hilfe von Fläschchen oder Condomen, die mit unbelastetem Urin gefüllt und in der Unterhose versteckt werden,  unbeschadet zu überstehen sind. Und was sagt es schon aus, wenn täglich einer von mehreren Hundert Schülern nach dem Zufallsprinzip zum Urintest zitiert wird, wobei ihm dies unter Umständen bereits am Vorabend mitgeteilt wird, so dass er ent-sprechende Vorkehrungen treffen kann. Das Risiko, entdeckt zu werden, bleibt gering. Bei den sogenannten legalen Drogen Nikotin und Alkohol herrscht noch immer eine weitgehende Verharmlosung in den Internaten. Die Kontrollen sind lasch, die Strafen milde. Da braucht sich wirklich niemand vor Konsequenzen zu fürchten. Diese wären auch von der Masse her kaum zu bewältigen oder würden unter Schülern und Eltern so viel Unruhe auslösen, dass die Verantwortlichen lieber durch die Finger sehen und versuchen, Konflikten aus dem Wege zu gehen.
 
Aber in Salem zum Beispiel vielen muss doch jeder, der vom Ausgang in seinen Wohnbereich zurückkehrt, in das Alkohol-Testgerät des Gruppenerziehers blasen. Da kann doch eigentlich niemand durch die Maschen schlüpfen?
Wie jede andere Droge kann auch Alkohol leicht ins Internat eingeschleppt und dort versteckt werden. Wer das nicht glaubt, sollte sich einmal mit der Situation in deut-schen Strafanstalten beschäftigen. Diese gelten als nahezu hermetisch abgeriegelt und trotzdem kommt man dort an jedes einschlägige Suchtmittel heran. Wenn die Schüler dann um 21:00 oder 22:00 Uhr den Pustetest durchlaufen haben, holen sie ihre hochprozentigen Vorräte aus den Verstecken, die zur Tarnung oft harmlosen Longdrinks beigemischt oder in Limonadenflaschen abgefüllt werden und damit auch bei überraschenden Zimmerkontrollen nicht auffallen. Man liest immer wieder, dass Alkoholmissbrauch zu den häufigsten Regelverletzungen im Internat gehört, also mit anderen Worten massenhaft stattfindet. Entsprechend harmlos sind dann die Strafen, damit man die Kundschaft nicht verärgert oder gar zu viele Schüler durch Kündigung verliert.
 
Also nützt der ganze Kontrollaufwand im Grunde wenig?
Unter vorbeugendem Aspekt ist die ganze Testerei und Pusterei sinnlos, denn wirklich effektive Maßnahmen in dieser Richtung kann niemand bezahlen. Fachleute weisen immer wieder auf den geringen prophy-laktischen Wert dieser Tests hin. Ein Sinn bestehe bestenfalls in der Beweissicherung bei dringendem Verdacht. Viel wichtiger für die Suchtprophylaxe wäre eine wirkliche Null-Toleranz gegenüber allen Drogen, auch Nikotin als gefährlicher Einstiegsdroge für härtere Suchtmittel und Alkohol, der unter dem Gesichtspunkt veränderter Trinkgewohnheiten Jugendlicher, ich sage nur Koma-Saufen, immer stärker zur Gesundheitsgefahr Nummer 1 wird. Das Material meiner bereits angesprochenen Dokumentation weist aber gerade im Hinblick auf den Alkoholkonsum im Internat eine äußerst lasche Haltung der Internatserzieher aus, die man teilweise nur als Kumpanei bezeichnen kann.
 
Kumpanei hieße was?
Als Kumpanei sehe ich ein augen- zwinkerndes Einverständnis der Er- zieher an, die hinsichtlich des Alkohol-
oder Nikotinkonsums der Schüler mehr oder weniger durch die Finger schauen oder Internatsregeln bewusst unterlaufen, indem sie z.B. Alkohol zu bestimmten Anlässen selbst ins Internat schmuggeln. Aber auch allzu liberale Internatsregeln fördern die Attraktivität von Suchtmitteln in unzulässiger Weise. Indem man den Älteren regelmäßige Kneipenbesuche erlaubt oder Raucherecken einrichtet, vermittelt man nach Auffassung von Suchtexperten bereits eine falsche Botschaft: Was den Älteren erlaubt wird, erscheint dann auch den Jüngeren als nicht so schlimm. Sie werden verleitet, es den Älteren gleichzutun.
Im Grunde ist es doch so: Um nicht zu viele Kinder und vor allem Jugendliche abzuschrecken, wagt es praktisch kein Internat, die notwendige Null-Toleranz in den Aufnahmebedingungen zu verankern. Null-Toleranz gegenüber allen Suchtmitteln und auf allen Altersstufen bis zum Abitur. Man weiß vielleicht, dass dies notwendig wäre, aber letztlich denkt man an die Schülerzahlen und die möglicherweise durch einen rigiden Anti-Drogen-Kurs entstehenden Einnahmeausfälle.
 
Internate fördern also durch eine Art Doppelmoral den Drogenkon- sum eher als ihn zu verhindern?
Das könnte man sicherlich so ausdrücken, wobei es natürlich noch andere suchtfördernde Mechanismen gibt. Schon der gern als >geregelter Tagesablauf< bezeichnete Internatsalltag bewirkt eine Art Zigarettenpausen-Mentalität. Viele kennen das von der Bundeswehr. Der gleichförmige Trott und kurze Zeiteinheiten zwischen irgendwelchen größeren Programmpunkten, die sich mit sinnvollen Aktivitäten nicht füllen lassen, bieten den Raum für Nikotin- und Alkohol-konsum oder auch den Konsum anderer Drogen. Langeweile, innere Anspannung oder depressive Stimmungen lassen sich damit spontan bekämpfen bzw. vermittelt das den entsprechenden „Kick“ zur Befriedigung von Neugier, Genusssucht oder Abenteuerlust.
 
Kann es denn nicht sein, dass sich die Situation in den Internaten einfach dadurch entspannt hat, dass immer weniger harte Drogen konsumiert werden und die Drogengefahren sich dadurch auch verringern?
Diese Auffassung kann ich nun überhaupt nicht unterstützen. Wie bereits im Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum erwähnt, führen veränderte Konsumgewohnheiten eher zu einer Verschärfung der Probleme. Ein besonderes Risiko liegt darin, das das Einstiegsalter beim Rauchen wie beim Alkoholgenuss immer geringer wird. Je früher aber der Einstieg erfolgt, um so größer ist die Gefahr langjähriger Abhängigkeit, einer multiplen Suchkarriere und schwerster gesundheitlicher Schäden. Man weiß ja auch, dass bestimmte illegale Drogen wie Cannabis, die früher gern verharmlost wurden, aufgrund von Neuzüchtungen wesentlich höhere Wirkstoffkonzentrationen aufweisen, als dies früher üblich war. Also geht auch von solchen in Anführungszeichen harmlosen Drogen heute eine viel höhere gesundheitliche Gefährdung aus.
 
Also sollten Internate jetzt keineswegs Entwarnung an der Drogenfront signalisieren?
Ich halte die derzeitigen Erfolgsmeldungen und Beschwichtigungen, die aus rein wirtschaftlichem Interesse der Internatsanbieter ausgestreut werden, um einen zu Recht schlechten Ruf loszuwerden, für fatal. Wenn da stolz darauf verwiesen wird, auf wie viele Substanzen man teste und dass ja außer Haschisch kaum mal etwas gefunden werde, ist das nur ein Zeichen für die schon immer übliche Tendenz zur Verharmlosung. Das Suchtproblem wird eben als Problem der Beeinträchtigung von Geschäftsinteressen gesehen und nicht als Problem der Erziehung oder der Gesundheitspflege!
Drogenbekämpfung im Internat – das ist wie der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel. Wenn der Hase glaubt, er sei bei der Bekämpfung illegaler Drogen nun endlich am Ziel, waren immer schon unzählige Igel mit neuen Drogen vor ihm da, sei es z.B. Ritalin, das die vielen in den Internaten untergebrachten ADHS-Kinder zwecks Ruhigstellung auf Krankenschein beziehen und dann an ihre „normalen“ Internatskameraden als Aufputschmittel verhökern, oder sei es die Modedroge GBL, die ähnlich abhängig macht wie Heroin. Erst kürzlich sorgte diese Droge für einen Grosseinsatz des LKA in dem staatlichen Internatsgymnasium Pfarrkirchen (Bayern).
 
Nach Ihrer Darstellung gibt es für die Internate eigentlich kein Entrinnen aus der Drogenfalle. Wer sein Kind vor dieser Gefahr bewahren will, sollte es also besser nicht ins Internat schicken?
Eltern, die Ihrem Kind ein behütetes Zuhause bieten können, sollten sich sehr wohl überlegen, ob sie die beschriebenen Risiken eines Internatsaufenthalts, die man einfach nicht bestreiten kann, auf sich nehmen wollen.
Es gibt aber auch Familien, die sind in einer weniger komfortablen Situation. Da ist tagsüber kein Ansprechpartner vorhanden, weil der alleinerziehende Elternteil oder beide Eltern arbeiten müssen, beruflich sehr engagiert sind. Niemand weiß genau, wie und in welcher Gesellschaft das Kind den Nachmittag verbringt. Oder es hat sich eben schon herausgestellt, dass Sohn oder Tochter in schlechte Gesellschaft geraten sind. Das Kind treibt sich herum, schwänzt die Schule, wurde vielleicht schon von der Polizei heimgebracht oder musste nach Drogenmissbrauch aus Polizeigewahrsam oder aus der Notaufnahme einer Klinik abgeholt werden. Auch hier müsste man von einer erheblichen Gefährdung sprechen. Ein Internat würde hier zumindest mehr Aufsicht und Kontrolle gewährleisten als dies dem Elternhaus möglich ist. Es bietet dann zwar keine Optimallösung, aber zumindest eine relative Verbesserung; zum Teil vielleicht auch nur eine Beruhigung des Gewissens.
 
Das klingt aber nun sehr nach der Wahl zwischen Pest und Cholera!?
Vollkommen richtig! Wir leben in einem freien Land. Freiheit bedeutet eben auch, zwischen Pest und Cholera wählen zu dürfen bzw. mangels Alternativen zu müssen.
 
Ist das nicht zynisch?
Das klingt vielleicht hart. Aber was kann ich als Internatsberater tun? Ich kann mir doch die schönen drogenfreien Internate nicht backen. Ich leiste immerhin meinen Beitrag zu einer kritischen Aufklärung der Öffentlichkeit über die ungelösten Drogenprobleme in den Internaten. Ich ermögliche es den Ratsuchenden auf diese Weise, die Risiken zu erkennen und abzuwägen, sich für oder gegen eine Internatsunterbringung zu entscheiden.
Schon damit mache ich mir ja genügend Feinde, nicht nur bei den Internaten, deren PR-Strategien meine Aufklärungsarbeit durchkreuzt, sondern auch bei vielen Eltern, die es irritiert, wenn ihre Illusionen von der vermeintlich besseren Welt in den teuren Privatschulen und Internaten zerstört werden.
 
Das verbraucherschützerische Engagement wird Ihnen also nicht unbedingt honoriert?
Eltern wollen das Gefühl haben: „Ich tue das Beste für mein Kind!“ Sie haben in der Presse irgendeinen gesponsorten Jubelbericht über sozial exklusive Wohnschulen gelesen, wo man angeblich die Sprösslinge vor schlechten PISA-Ergebnissen, Drogen und aller sonstigen Unbill in Sicherheit bringen und seinem Kind gleichzeitig sogar noch eine Karrieregarantie in den Netzwerken der Oberschicht erkaufen könne. Und nun komme ich und weise ihnen schlüssig nach, dass das alles Unfug, Lug und Trug ist. Da gibt es dann die Intelligenten und Aufgeschlossenen, die sich eigentlich nur darüber wundern, dass sie nicht von selbst drauf gekommen sind, dass dieser ganze Privatschul-, Harry Potter- oder Hanni-und-Nanni-Hype gar nicht stimmen kann. Aber es gibt eben auch die Dummen, die sich der kritischen Aufklärung verweigern. Die laufen dann manchmal sogar zu einzelnen Internatsschulen und schwärzen uns wegen angeblicher Verleumdung oder unlauteren Wettbewerbs an.
 
Wie entscheiden sich die Ratsuchenden denn im konkreten Fall? Schlagen die Ihre Warnungen in den Wind oder lassen sie sich abschrecken?
Das hängt vor allem von der Situation ab, in der man sich befindet. Wer nicht auf eine bestimmte Lösung bereits fixiert ist und Alternativen sieht, also beispielsweise sein Kind auch weiterhin selbst betreuen oder zum Schüleraustausch ins Ausland schicken kann, verzichtet angesichts der hohen Risiken vielleicht auf seine Internatspläne. Andere, die mit dem Rücken zur Wand stehen und das Kind unbedingt kurzfristig irgend- wo unterbringen müssen, unterstellen mir vielleicht Einseitigkeit und suchen sich einen anderen Berater, der weniger anstrengend ist. Im Übrigen ist es ja nicht meine Absicht oder meine Aufgabe, Eltern von Internaten abzuschrecken. Es geht darum, ein möglichst realistisches Bild der Internatswirklichkeit zu zeichnen, damit Eltern wissen, worauf sie sich einlassen. Es nehmen ja nicht alle Internatsschüler Drogen. Kinder und Jugendliche mit wirklich stabiler Persönlichkeit sind durchaus in der Lage, sich dem Gruppendruck zu entziehen. Auch diese leiden zwar unter dem Drogenkonsum ihrer Mitschüler...
 
Inwiefern?
Das gesamte Klima des Internatslebens wird vergiftet. Wer möchte mit einem ständig kolabierenden Zimmergenossen zusammenwohnen oder einem, der dauernd alles vollkotzt? Wer möchte sich permanent irgendwelchen Tests aussetzen, obwohl er selbst völlig abstinent ist? Wer möchte ausgegrenzt werden, weil er bei bestimmten Saufspielchen oder Drogenpartys nicht mitmacht? Wer kann sich wohl fühlen, wenn er ständig in der Beziehungsfalle gefangen ist, also zerrissen zwischen den Loyalitätsforderungen seiner erwachsenen Bezugspersonen und denjenigen seiner Internatskameraden, die er nicht verpetzen will. Vor allem Stipendiaten, die sich die Verlängerung des Stipendiums von Jahr zu Jahr durch Wohlverhalten verdienen müssen, geraten da erheblich unter Druck. Wer immer wieder für andere lügen muss, die etwas zu verbergen haben, wird kaum zu einem aufrichtigen Menschen erzogen. Die charakterliche Entwicklung leidet.
 
Sorry, ich hatte Sie unterbrochen. Wir waren bei der Frage, in welcher Weise die Eltern auf Ihre Warnungen reagieren.
Ja, es gibt da noch einen sehr entscheidenden Punkt: Ob und in welchem Maße sich Eltern von der Beschreibung der Drogenproblematik in den Internaten beeinflussen oder gar abschrecken lassen, hängt sehr davon ab, welche Erfahrungen sie vielleicht selbst bzw. mit dem eigenen Kind oder seinen Geschwistern gemacht haben. Dies können auch schon Internatsefahrungen gewesen sein. Bei Eltern mit eigenen Internatserfahrungen – seien es die eigenen oder diejenigen älterer Kinder – renne ich oft offene Türen ein. Da wundere ich mich, dass die Betreffenden überhaupt den Mut haben, es noch einmal mit einem Internat zu versuchen. Wer solche Erfahrungen nicht hat und das eigene Kind für drogenresistent hält, neigt sehr viel eher dazu, das Drogenrisiko im Internat als überschaubar einzustufen. Da heißt es dann oft: „Drogen gibt es doch heute überall.“  Das mag zwar tatsächlich so sein. Die Drogengefährdung ist aber in einem Internat ungleich höher. Denn nirgendwo sonst ist der Gruppendruck so stark, führen auch die gesamten Lebensumstände dazu, dass Kinder und Jugendliche entsprechenden Verführungen erliegen.
 
Gibt es denn Beispiele dafür, dass Eltern Ihnen zumindest nachträglich Recht geben?
Die gibt es allerdings. Mancher, der es nicht glauben wollte, dass die Verhältnisse in den Internaten tatsächlich so dramatisch sind, musste erst durch eigene Erfahrungen klug werden. Wie richtig ich mit meinen Einschätzungen liege, kann man in bestimmten Internetforen nachlesen. Aber es gibt vereinzelt auch gegenteilige Reaktionen, also Zuschriften von Eltern, die selbst gute Erfahrungen in privaten Internatsschulen ge-macht haben und nun der Meinung sind, dass ich die Situation insgesamt vollkommen falsch beurteile.
 
Kann man das quantifizieren? Überwiegen die guten oder die schlechten Erfahrungen?
Ich kann da aufgrund der zu schmalen statistischen Basis bzw. der zu vermutenden hohen Dunkelziffer nur Hypothesen aufstellen. Ich neige zu der Auffassung einiger Experten, dass die negativen Einschätzungen wahrscheinlich überwiegen würden, wenn es nicht eine so hohe Zahl von Enttäuschten gäbe, die aus Scham darüber, nicht auf Warnungen gehört und alles besser gewusst zu haben, lieber schweigen. Oft ist es ja auch so, dass die eigenen Kinder im Zusammenhang mit Drogenerfahrungen im Internat in Dinge verstrickt waren, die auch strafrechtliche Konsequenzen haben können, bzw. gelten das Gesetz des Schweigens oder der Chorpsgeist der Internatskameradschaft natürlich auch noch weit über die aktive Internatszeit hinaus. Man darf schließlich eines nicht vergessen: Viele Kinder oder Jugendliche mit Drogenproblemen sind ja nicht erst im Internat zu Drogenkonsumenten geworden. Bei Etlichen waren Drogendelikte ja gerade Grund oder Anlass, warum sie ins Internat verbannt wurden, z.B. nach einem Rausschmiss aus der öffentlichen Schule. Eltern mit solchen Kindern haben dann eigentlich wenig Grund, sich über Drogenprobleme im Internat zu beschweren, denn sie  sind f ür  diese fatale Situation ja im Grunde mitverantwortlich.
 
Danke für das Gespräch!

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