WILLKOMMEN
bei Marianne Marlene Peternell

 Der Zauberbrunnen   
Ich saß an einem Tisch in diesem verrauchten Lokal, wo

jetzt alle hingingen, nahe der Tür, trank Wein und unter-

hielt mich damit, Menschen zu beobachten. Roman

kam und setzte sich zu mir. Ich schaute in sein Gesicht,

in dem alles so groß und weitläufig war, die Nase, die

Ohren, die Lippen, die dunklen Augen und verlief mich

ein bisschen in dieser Landschaft, ich mochte ihn wirklich,

er war ein feiner Kerl. Das Bittersüße des Mandelbaums

hatte er mir gezeigt, die schwarze Milch und die Asche

Claasens, die auf dem Herzen klopft. Sein schwatzkantiges

Wien hatte ich kennen gelernt und das Lachen im Keller

über die giftigen Witze.
Da kam Peter herein, winkte zu uns herüber, schwenkte
seinen dunklen runden Leib mit Eleganz zwischen den
Stühlen durch, umarmte uns, setzte sich. Er schimpfte.
„Seit Jahren habe ich nichts anderes getan als Reden,
Schreiben und Vorlesungen halten, Sätze bilden, nach
Formulierungen suchen. Kein Wort ist mir noch präzis

genug, die Wörter fliegen wie Sandkörner durch mein Gehirn.

Ich habe Kopfschmerzen und kann nicht schlafen. Die

Nichtigkeit der Wörter soll für immer untergehen in den

Farben. Ich sehne mich nach einem gewaltigen Bilderrausch.“

"Ich will schreiben Peter. Ich versuche kleine Szenen zu

beobachten, zum Beispiel wie Menschen ein Lokal betreten.

Ich finde das spannend." "Mach es einfach, Rebekka.

Schreib jeden Tag ein bissel was, es wächst in Ringen,

du wirst sehen."
Roman sprang auf und lief aus dem Lokal und kam

herein mit forschem Gesicht, warf ruckartig Blicke nach allen

Seiten wie ein Revolverheld. Erfreut über mein Gekicher lief

er wieder hinaus und kam ganz schüchtern herein mit verstör-

tem Gesicht, dann wieder, in den Knien gebeugt, viel kleiner,

fragend; wieder und wieder verwandelt kam er herein und ich

lachte. Ich hielt ihn fest und lief selbst hinaus in die

Nacht und kam herein, tat als bemerkte ich die beiden nicht,

schaute mich forschend um und ließ mich anschauen, bis ich die

beiden ins Blickfeld bekam, dann sprintete ich strahlend auf

Roman zu, breitete meine Arme aus, und sagte fordernd "Du.

Dich will ich." Roman lächelte. "Das ist stark. Machen wir ein

Kind, Rebekka. Ich weiß nicht, ob ich so einfach eins machen

kann. Wir können ja ein Retortenbaby machen. Ich meine

so eins, wo sie meinen Samen in dein Ei und das Ganze dann

in deinen Bauch pflanzen." Ich schaute ihn unbehaglich an. "

Rebekka soll schreiben, das will sie", schimpfte Peter. "Ich wün-

sche mir aber auch ein Kind. Beides soll sein. Das will ich." Ich

sprang auf und warf meinen Sessel um. "Heb ihn auf!", rief ich

wild Roman zu, Roman blieb sitzen. "Heb ihn auf!" schrie ich

noch einmal und schüttelte meine Haare durch den Raum. Ein

junger Mann mit einem frischen, offenen Gesicht, schmal, fast

mager mit scharfgeschnittenen Zügen und sehr kurzem Blond-

haar bahnte sich einen Weg von der Theke auf mich zu. Er trug

eine Blumenvase mit vielen Frühlingsblumen, die er offenbar

von der Theke weggenommen hatte, und stellte sie mit beiden

Händen fest vor mir auf den Tisch. "Gregor", sagte er und hob

den Sessel auf. Er schaute mich an und sagte "Kundera". Ich

nickte "Marquez", sagte ich. Er "Paolo Conte". "Ja.", antwortete

ich." Gregor ist ein schöner Name. Ich werde meinen Sohn

Gregor nennen. Ich heiße Rebekka". Er "In einer Woche, gleiche

Zeit, gleicher Platz" und weg war er. "Du freundest dich aber

schnell an", giftete Roman.

Peter sagte "Du wirst viele Kinderchen bekommen in vielen

Farben, Rebekka:"

Während Peter von den Farben zu erzählen begann, die er in

den Schatten fand, trank ich aus, nahm meinen Spazierstock,

meine Melone und mein Sakko, verbeugte mich liebenswür-

dig und wanderte einsam und fröhlich Richtung Hernals in

meine Heimat.
 

Es schrie und ich ließ seine Schreie durch mich durch wie

Messer. Das Baby schrie unerbittlich das Duftende, Warme,

Weiche, Runde an. Dort musste alles sein, was es brauchte.

Alles. Es kam nicht. Sein Körper krümmte sich vor Schmerzen,

vor Hunger, vor Sehnsucht, vor Angst. Getrenntheit. Absoluter

Schmerz. Das da war da. Das Baby roch es, leckte, biss hinein,

saugte mit aller Kraft. Nichts. Die Verzweiflung schüttelte es.

Es gibt deins, mein Kind. Ich hielt es in den Armen.
Ich dämmerte fort.

Ich saß ganz oben in den dünneren Ästen des Apfelbaumes

und schaute dem Eichhörnchen zu, wie es elegant zwischen

den Bäumen hin und her sprang und dabei Töne von sich gab

wie ein seltener Vogel.

Der Himmel war tiefblau, der Baum breitete sich mächtig aus

rund um mich und ich fühlte mich sehr geborgen in meinem

Garten. Ich freute mich, dass der Garten, mein verwunschener

Dornröschengarten rundum von anderen Gärten umgrenzt

und für jeden unerreichbar war. Ich lehnte mich an den Stamm

und versuchte die unterschiedlichen Grüntöne des Baumes zu

sehen. Das Licht in den Blättern. Zahlloses Grün.

Ich kletterte vom Baum, brach Salbei und verbrannte etwas

davon. Mitten im Garten legte ich einen Kreis aus

großen weißen Flusskieseln. Ich setzte mich in die

Mitte und schwieg feierlich. In ein Stück Holz ritzte

ich lange Zeichen für alle Verletzungen, die Gregor mir zugefügt hatte. Dann begrub ich das Holz und den Ärger.

In den kleinen Springbrunnen legte ich einen Bergkristall.

Mit großem Ernst brachte ich eine Schale Milch zum Was-

ser als Geschenk für die kleine Schlange, die dort wohnte.

 

Ich wachte auf. Ich tauchte auf aus einem tiefen Brunnen,

aus einer unendlichen Ferne. Das Baby schrie, es klammerte sich an. Es gibt deins mein Kind, es gibt deins. Ich stand auf und trug das aufgelöste kleine Wesen durch die Wohnung. Legte mich wieder hin. Und dann spürte ich. Aus den Tiefen kam es angebraust. Fast hörte ich es. Es kam mit Gewalt, es tat weh, es drückte meinen Busen innen auseinander, das

Baby schob sich seitwärts zum Brunnen und saugte sich fest,

weißes Licht, Überfließen, die Quelle, der zarte Körper, das

lustvolle reiche Saugen, kleine Schauer auf meiner Haut. Der

Busen, ein Zauberbrunnen. Je mehr man herausnimmt, umso

mehr ist drinnen. Wie in der Liebe. Alles ist da.

 

Ich ordnete alle Dinge im Haus, ein großer Frieden war über

mich gekommen, als hätte ich stundenlang geschlafen.

Gregor kam und ich gab ihm zu essen. Er redete, er redete, er

redete. Stundenlang erzählte er von der Arbeit. Ich hörte ihm

zu, nickte, machte Anmerkungen. Dann legte ich das große

Küchenmesser auf den Tisch. Die Spitze zielte auf Gregor.

Doch Gregor hatte sich warm geredet. 

Dann begann ich ohne Umstände mitten in seine Rede hinein

zu erzählen. Ich erzählte vom Zauberbrunnen und vom Berg-

kristall, von der Milch für Hannah und für die Schlange.

Gregor staunte mich an: "Ich dachte, du erlebst nichts und

hättest nur Belastungen. Ganz schön verrückt, was du erzählst

und schön irgendwie. Ich wär froh, wenn ich da auch irgend-

wo vorgekommen wär, wenn da irgendwo Platz wäre für

mich." " Tag und Nacht, Wochen und Monate hab’ ich

immer nur ein bis drei Stunden geschlafen. Das ist das Ge-

schenk, das ich bekomme. Komm zu uns, schlaf bei uns, teil

mit uns. Gregor, bitte.“ Gregor grinste schief. "Was willst du,

Rebekka. D u solltest kommen. Zu mir. Du solltest das Kind
nach mir reihen. Endlich!"

Ich schaute ihn bestürzt an. Ich sprang auf, holte Honig und

bestrich das Küchenmesser damit, dann leckte ich mit hoher

Aufmerksamkeit den Honig von der Schneide, langsam und

angespannt. "Wenn man seine Gedanken darauf fixiert, sich

nicht am Messer zu schneiden, spürt man keine Schmerzen

mehr.", sagte ich wild in Gregors Augen. "Gute Nacht", ich

ging aus dem Zimmer und schloss sorgfältig die Tür.

 

Ich saß nackt vor dem großen dunklen Spiegel, der fast blind

war und beobachtete die Linien meines müden, nun volleren

Gesichts. Gregor lebt hier nicht mehr. Hinter die Schleier ge-

sehen mit weltalten, schwarzen Augen. Meine Mutter bäckt

Kuchen. Grillengezirp und Vogelgezwitscher. Das Feuer,

das in mir brennt. Das lustige Weiberleben, das alte Weiber-

wissen, die Lebensfreude, die Liebhaber, die sich heimlich

davonstehlen. Wie lustig das Leben sein könnte. Die Freude

und der Reichtum der Brunnen, der Gärten sind verloren. Ich

verstumme.
 Immer weitermachen. Tag und Nacht unerschöpflich. Schreien.

Mangel. Verzweiflung. Überfluss. Nahrung. Lust. Körpern.

Das zarte Körpern. Das Greifen, das Fließen. Zauberbrunnen

der Tiefe, der Träume, des Lichts.
 

Roman und Peter tanzten Tango, sie schmiegten Bein an Bein,

sie schlängelten sich durch den Rhythmus der Nacht unter dem johlenden Beifall der Freunde. Es wurde gefeiert. Ich saß da und bewunderte sie. Sie feierten Peters Erfolg. Seine Schattenbilder hatten die besten Kritiken, Roman schrieb Lobeshymnen für die Zeitungen. Hannah schlief im Bett nebenan und ließ sich von dem Lärm nicht stören.

Bald saß Roman neben mir. "Es gibt fast keine Sprache für

meins, ich bin müde", lächelte ich. "Ist es ein Problem

für dich, dass Peter so erfolgreich ist und deine Gedichte

kaum einer kennt, nur so hoffnungslose Fans wie ich eine bin?" "Bohre nicht in meinen Wunden. Natürlich ist das schwierig.“ "Ich frage nur, weil kaum einer mein Kind

kennt, du hast sie niemals angeschaut, mich niemals

besucht, seit sie bei mir ist. Das ist hart." "Ich verstehe

nichts von diesen kleinen Monstern und ihre Mütter haben wenig Zeit." "Ich brauche dich, Roman. Es könnte auch dein Kind sein." "Welches Stück von mir brauchst du Rebekka?", grinste Roman. "Dich ganz, kein abgetrenntes Stück, du bist

in meinen Augen nicht einer von diesen kastrierten Männern, die nur ein Stück geben können." "Soll ich nachts das Baby wickeln, weil Gregor keine Lust dazu hat, ist es das?" "Ich brauche Gegenwart, unerhörte Gegenwart und Auf-

merksamkeit, etwas, was die Männer den Frauen in diesem Land nicht zu geben bereit sind. Hingabe. Ohne Forderung. Ich will alles." "Weshalb sollte es etwas geben, was keinen Preis hat, Rebekka?" "Weil das die Liebe ist. Ich habe es gelernt von Hannah, sie hat mich gelehrt, was Hingabe ist." "Du willst ein Verschmelzen, wie eine Mutter mit ihrem

Baby noch teils verschmolzen ist, weil sie es mit ihrem

Körper nährt." "Ich fordere Hingabe, die restlose Hingabe! Die Hingabe eines erwachsenen Mannes, nicht die des bedürftigen Kindes in diesem Mann. Ihr habt alle Angst.

Und Hingabe heißt geben, da sein, geben ohne Rechnung, Aufmerksamkeit. Ich denke, es wird nicht gehen ohne ein lustiges Weibervolk rundum.

Doch wir könnten es immerhin versuchen in das Land hinter

den Spiegeln, in das Land der Zauberbrunnen zu kommen, in

dem alles Überfluss ist, wenn die Sehnsucht zuvor Körper, Herz und Hirn zerrissen hat und.. Ich bin gekommen um dich mitzunehmen, mit in den Schmerzton, den Sehnsuchtston, in die geisterhafte Musik der unerhörten Gegenwart. Ich muss gehen." 

Ich wickelte mich in meinen dunkelroten Sari, holte Hannah,

setzte mich vor Roman auf den Boden, stillte das Kind und

schaute in den Mann hinein.