WILLKOMMEN
bei Marianne Marlene Peternell

Maria und die Kastanien
 
 

Sie saß in der Essecke ihrer Küche. Soeben war sie mit Aufräumen fertig geworden. Es war eine neue Küche. Ihre Tochter hatte sie für sie ausgesucht. Marion war eines Tages gekommen und hatte darauf bestanden, dass die alten Kästchen und der Herd, von dem nur noch zwei Kochplatten funktionierten, weg mussten. Auch der alte Kühlschrank wurde entsorgt.

Maria kaufte mit ihrer Tochter Marion bei Peter Max eine neue Küche, einen Herd mit Ceran- Kochfeld, einen Kühlschrank mit Dreistern-Kühlfach und Kästchen, Ober- und Unterschränke mit mittelbraunen Holztüren. Das alles bezahlte sie von ihrem mühsam Ersparten. Marion brachte einen Bekannten, der die Küche montierte, nachdem sie geliefert worden war. Und da stand sie nun, aufgeregt zwischen all den neuen Dingen in ihrer 2-Zimmer-Wohnung und begann sofort sie sorgfältig zu putzen, obwohl doch eigentlich alles neu und sauber war. „Das macht man.“, sagte sie „so wird das Neue was Eigenes.“

Seither hatte Maria ihre neue Küche täglich sauber und ordentlich aufgeräumt, sogar ein eigenes Pflegemittel für das Ceran-Kochfeld hatte sie im Supermarkt besorgt.

Maria war schon alt, gerade 71 Jahre alt geworden und dennoch hatte sie sich diese Küche geleistet. Das verhieß ihr Lebensmut. Sie würde noch lange leben wollen, damit sich diese Investition auszahlte, damit die Anschaffung der neuen Küche auch wirklich Sinn hatte.

Maria liebte es gepflegt. Sie ließ ihr kurzes Haar regelmäßig beim Friseur in geordnete Dauerwellen legen. Sie bestellte sich Kleidung aus dem Katalog für gesetzte Damen. So empfand sie sich ordentlich und schön; sonntags legte sie dezenten Lippenstift auf, bevor sie in die Kirche ging. Sie war nicht gläubig, doch ihrer Meinung nach gehörte es sich in die Kirche zu gehen.

So saß sie an diesem Tag also, es war mitten in der Woche, mit ihrem dauergewellten Haar und ihren Kleidern aus dem Katalog, einem dunkelblauen Rock und einer dunkelblau-rosa gemusterten Bluse in Gr.44 in ihrer geputzten Küche. Doch etwas war anders. Etwas irritierte sie.

Auf der Arbeitsfläche ihrer Küche lag ein Sackmit Kastanien. Marions Sohn Lukas war gestern zu Besuch gewesen. Er hatte die Kastanien im Hof gesammelt und war begeistert gewesen, wie schön sie waren, wie glänzend, wie glatt. Er hatte lange mit ihnen gespielt. Sie waren zu Autos geworden, zu Männchen, zu Bällen.

Als er ging, hatte er sie vergessen.

Und nun saß Maria da. knetete ihre Hände und starrte die Kastanien an. Sie störten ihren Ordnungssinn und sie hätte sie auch ohne Zögern weggeworfen, wenn nicht das Leuchten in den Augen von Lukas beim Spielen, an das sie sich erinnerte, sie davon abgehalten hätte. Sie holte die Kastanien und breitete sie vor sich auf dem Tisch aus. Sie befühlte sie, doch zuckte sie dabei zusammen, als würde sie etwas Verbotenes tun. „Mit Kastanien spielen nur Kinder. Das gehört sich nicht.“, sagte sie sich. „Ob ich die Kastanien für Lukas aufheben sollte?“ Nein, das wohl nicht, sie werden alt werden und ihre Glätte und Schönheit verlieren.“ Maria starrte die Kastanien an. Tränen standen plötzlich in ihren Augen, doch sie wusste nicht weshalb.

Mit einem plötzlichen Ruck stand sie auf, warf die Kastanien wütend zurück in den Sack und brachte den Sack zum Mülleimer.

Alles hatte wieder seine Ordnung. Maria las nun „Das goldene Blatt“, das sie am Morgen gekauft hatte, las über die Schwierigkeiten und Probleme in Königshäusern, deren Familienmitglieder ihr alle namentlich vertraut waren.