Zeitschrift für Autismus und Entwicklungsstörungen, 22. Band, Nr. 2, 1992

Übersetzt aus dem Englischen (Orginaltitel: Cognitive abilities of patients with Lesch-Nyhan disease)

Lowell T. Anderson, Monique Ernst und Susan V. Davis

Kognitive Fähigkeiten von Patienten mit der Lesch-Nyhan-Erkrankung

Die Eltern von 42 jungen Patienten mit der L-N-Erkrankung füllten einen Fragebogen aus, in dem die Pfleger das Verhalten ihrer Patienten während einer Vielzahl von normalen Alltagshandlungen systematisch beobachteten. Die Antworten wurden in neun Gruppierungen eingeteilt, die die unterschiedlichen Aspekte kognitiver Kenntnisse widerspiegeln. Nur ein Junge scheint erhebliche kognitive Beeinträchtigungen zu haben. Sowohl das Kurzzeit- wie auch das Langzeitgedächtnis ist ausgezeichnet; ihr Gefühlsleben verfügt über die normale Spannbreite an Reaktionsvermögen und ist sehr gut entwickelt; die Jungen können sich gut konzentrieren und abstrakt denken; sie haben eine gute Selbstwahrnehmung und sind ausgesprochen sozial. In ihren intellektuellen Fähigkeiten hinken sie jedoch hinterher, so beherrschen sie bspw. nur 15% des Wissens, was die Schüler ihres Jahrgangs in der Mathematik und der Lesekompetenz beherrschen. Welche pädagogischen Fördermaßnahmen, welche Strategien für Eltern und Pfleger, welche Forschungsmethodik sich daraus ergeben, darüber wird am Ende noch diskutiert.

Man geht inzwischen davon aus, dass Patienten mit L-N über größere kognitive Fähigkeiten verfügen, als bislang angenommen wurde. Je mehr man sich mit den einzelnen Kindern beschäftigte, umso mehr hinterfragten die Forscher die allgemeine Feststellung, die in vielen veröffentlichten Artikeln und Lehrbüchern vertreten wird, dass nämlich die L-N-Erkrankung auch durch geistige Entwicklungsverzögerung definiert wird. Es ist verständlich, dass diese Patienten oft als geistig behindert oder entwicklungsverzögert diagnostiziert werden, weil die klinischen Charakteristika wie erhebliche motorische Beeinträchtigungen und selbstverletzendes Verhalten in der Regel einher gehen mit geistiger Entwicklungsverzögerung.

Das L-N-Syndrom wurde erstmals 1964 als spezifisch medizinische Kondition durch die amerikanischen Ärzte Lesch und Nyhan definiert. Es beruht auf dem selten vorkommenden Fehlen des X-Chromosoms, das eine vollständige Inaktivierung des Enzyms HPRT bewirkt. Das Fehlen dieses Enzyms führt zu einer extremen Überproduktion der Harnsäure und damit zusammenhängend zu Gicht und Nierenfunktionsstörungen. Außerdem leiden alle Patienten unter neurologischen Anomalien wie Spastik, Choreoathetosis, Dysarthria und einem beispiellosen Zwang zu Selbstverletzungen. Die begleitenden Symptome sind so gravierend, dass die Patienten nur mit Unterstützung sitzen oder stehen können. Die muskulär kontrollierten Sprachwerkzeuge sind gleichermaßen betroffen, weshalb man die Patienten nur mit großer Mühe verstehen kann. In der Regel beginnen die Selbstverletzungen etwa im Alter von 2 Jahren damit, dass die Patienten sich in die Lippen oder in die Finger beißen. Sobald sie älter werden, verletzen sie sich in jeder nur denkbaren Art und Weise.

Es ist nahezu unmöglich, ihre kognitiven Fähigkeiten adäquat einzuschätzen, weil diese Kinder sich wegen der schwerwiegenden muskulären Beeinträchtigungen weder koordiniert bewegen noch verständlich sprechen können. Da Menschen mit dem L-N-Syndrom nicht über die klassischen Bildungserfahrungen interagieren können, werden sie bei normalen IQ-Testverfahren benachteiligt, die den Schwerpunkt legen auf erworbenes Wissen statt auf die Befähigung zum Lernen. Für einen Lehrer oder für die Eltern ist es z.B. schwer wahrzunehmen, ob das Kind etwas gelernt hat und so die nächste Unterrichtsstunde auf das entsprechende Niveau abzustimmen.

Wie intelligent der Patient ist, wurde zumeist durch Beobachtung festgestellt. Wie die Patienten auf spontane und charakteristische Ereignisse reagieren, sind Hinweise für die Eltern, Lehrer und Pfleger darauf, das die Patienten über kognitive Fähigkeiten verfügen. Aufgrund intuitiver Wahrnehmungen vertreten Forscher die persönliche Meinung, dass diese Patienten wohl intelligenter sind als ihre IQ-Ziffer vermuten lässt. Die Wissenschaftler beschreiben ihre „wachen Augen", ihre „Kooperationsbereitschaft" und ihr „einnehmendes Wesen".

Die Patienten werden als „charmant" und begabt mit einem „wachen Gespür" für ihre Umgebung umschrieben und sie haben einen ausgesprochenen „Sinn für Humor".

In dieser Untersuchung berichten wir über die Ergebnisse aus einem Fragebogen, der die Beobachtungen eines Pflegers sytematisieren soll, der einen Patienten während einer Vielzahl an alltäglichen Vorrichtungen pflegt und betreut. Wir stellen ausgewählte Teile des Fragebogens vor, die sich auf die kognitiven Fähigkeiten des Patienten beziehen. Der Fragebogen wurde speziell auf die besonderen Bedürfnisse der L-N-Patienten zugeschnitten. Der Fragebogen wirft ein Schlaglicht auf das Verhalten von L-N-Patienten, wie unterschiedlich die Formen der Selbstverletzung, der Kommunikationsformen und Reaktionen auf die physischen Beschränkungen aussehen können. Es gab keine Kontrollgruppen, weil die Fragen zum größten Teil nicht den Alltag „normaler" Menschen oder Menschen mit Entwicklungsverzögerungen betreffen.

In dieser Studie versuchten wir nicht den IQ zu bestimmen. Unser Ziel war es, die Art kognitiver Fähigkeiten bei einer großen Anzahl von L-N-Patienten zu beschreiben, um Bildungsmaßnahmen, Strategien für Eltern und Pfleger, aber auch Forschungsmethoden zu entwickeln.

Vorgehensweise

Von insgesamt 60 Fragebögen, die an 56 Elternhäuser geschickt worden waren (2 Familien haben 2 Kinder mit der L-N-Erkrankung), sowie an zwei Heime, kamen 42 ausgefüllt zurück Man versuchte, mit den 18 Elternhäusern Kontakt aufzunehmen, die nicht geantwortet hatten; 10 konnten erreicht und befragt werden, die übrigen 6 Elternhäuser meldeten sich nicht, auch die beiden Heime antworteten nicht.

Diesem Bericht liegt die Auswertung der 42 Fragebögen zugrunde. Alle Antworten belegten eindeutig, dass es sich bei den einzelnen Kindern um L-N-Patienten handelte. Auf 38 der Patienten trafen die typischen klinischen Muster der Selbstverletzung und motorischen Beeinträchtigung zu, obwohl nicht alle Eltern die biochemischen Beweise der Diagnose vorweisen konnten. 4 der Patienten waren insofern atypisch, dass 2 Patienten sich nie verletzten und 2 weitere außergewöhnlich gute motorische Fähigkeiten besaßen, sich jedoch selbst verletzten. Bei allen 4 Patienten lagen jedoch Beweise vor, dass die Krankheit offiziell diagnostiziert worden war durch HPRT-Aktivität. Die Altersstufe der Patienten lag zwischen 2 ½ und 32 Jahren (12 Jahre war das Durchschnittsalter). 33 Kinder lebten zuhause, 6 Kinder

lebten in Heimen, verbrachten die Wochenenden zuhause, und 3 Eltern berichteten, dass ihre Söhne vor kurzem verstorben waren.

Der Fragebogen bestand aus 176 Fragen, die in 18 Gruppen gegliedert waren, darunter der genetische Familienhintergrund, die Gesundheitsgeschichte des Patienten, psychische Störungen, motorische Fähigkeiten, der schulische Werdegang, die Ergebnisse mehrerer biochemischer Analysen, Selbstverletzung (welches Körperteil, spielt das Alter eine Rolle, situationsabhängig, nicht an einen Reiz gebundene Selbstverletzung, mögliche Selbstverletzung in bestimmten Phasen, Aggression gegen andere, Ausmaß der physischen Verletzung, wie schätzen die Eltern die Schwere der Verletzung ein), aktuelle Bedürfnisse für Körper und Lebensgewohnheiten, wie kann der Patient sich verbal äußern, tägliche Routine, Vorlieben und Abneigungen, das Ankleiden, Strategien der Eltern zur Bewältigung des Alltags, professionelle Psychotherapien, Beschränkungen, Zahnbehandlungen, Medizingeschichte ( für die Selbstverletzung, Unruhe, und Schlaf), physische Anwendungen und eine Bitte um Fotos und Videobänder. Alle Fragen waren in multiple-choice-Form. Am Ende jeder Abteilung war freier Platz für Anekdoten und persönliche Erfahrungen.

51 Fragen wurden ausgewählt aus dem Überblick, da sie Einblick geben in die kognitiven Fähigkeiten der Patienten. Diese 51 Fragen werden im Anhang abgedruckt. Die Ergebnisse aus den 51 Fragen werden in 9 Klassen unterteilt, die die unterschiedlichen Aspekte kognitiver Fähigkeiten reflektieren. Die ersten vier Kategorien (Wachheit/Aufgewecktheit und Orientierungssinn; Affekte; abstraktes Denken und Verständnis; und Gedächtnis/Erinnerungsvermögen) wurden aufgenommen, weil sie Elemente der kognitiven Einschätzung/Bewertung repräsentieren gemäß der psychiatrischen Prüfung des Geisteszustandes. Die folgenden vier Kategorien reflektierten die Fähigkeit etwas zu verstehen, im Gedächtnis behalten und logisch denken (deduktiver und induktiver Gedankengang, Verständnis, wie wird Sprache und Kommunikation verwendet, schulische Befähigung/Eignung und soziale Fähigkeiten). Die letzte Kategorie führte den indirekten Beweis einer kognitiven Befähigung (Strategien der Eltern und Faktoren, die Selbstverletzung zu kontrollieren).

Nicht alle Fragen wurden von allen Eltern beantwortet und manche Ergebnisse wurden für die Präsentation je nach Alter, Stand der Selbstverletzung oder durch die Notwendigkeit für physische Beschränkungen ausgewählt. Aus diesem Grund wurden für jede Frage sowohl der

Prozentsatz als auch die Anzahl der Antworten aufgezählt, weil die Anzahl der Antworten von Kategorie zu Kategorie variieren.

Etwaige Anekdoten wurden am Ende jeder Kategorie zusammengefasst. Die Eltern waren nach einer Anekdote gefragt worden, die den „höchsten Stand intellektueller Errungenschaft" ihres Sohnes am besten beschreibt. 60% der Eltern (25 von 42) brachten dazu Beispiele. Für jede Kategorie wurden Anekdoten ausgewählt, die am besten eine bestimmte Situation beschrieben.

Ergebnisse

Wachheit und Orientierungssinn

Alle Patienten, die älter als 5 Jahre sind (100%), verfügten über einen ausgesprochenen Orientierungssinn in Zeit und Raum und bei Menschen. Sie wussten immer, wo sie waren, erkannten immer die Person, die sie pflegte, wussten den Wochentag und wussten, wie spät es war.

Es gibt Anekdoten darüber, dass manche Patienten an bestimmten Tagen nicht in die Schule wollten wegen eines bestimmten Schulfaches, manche kannten das Fernsehprogramm und schauten immer auf die Uhr, um ja ihre Lieblingssendung nicht zu verpassen und wieder andere Patienten gaben ihren Eltern im Auto Hinweise auf die Fahrtrichtung.

Affekte

97% verfügten über ein breites Spektrum an Affekten und angemessene emotionale Reaktionen auf ihre Umgebung. Angemessene Affekte beweisen ein gutes Verständnis von Ereignissen und der Umgebung. Es wird berichtet von Trauer, wenn ein Freund wegzog oder wenn ein Verwandter starb und von Glück, Aufregung und Zufriedenheit in den entsprechenden Situationen.

Abstraktes Denken und Einsichten

8 Patienten, die älter als 11 Jahre waren, sprachen über Selbstmord (36%) und ein Patient hatte einen Selbstmordversuch hinter sich. Dies deutet darauf hin, dass diese Patienten sich ihrer Gefühle bewusst waren und eine Vorstellung davon hatten, dass das Leben endlich ist. 14% „wussten immer im voraus" und 36% „wussten manchmal" im voraus, dass sie sich selbst verletzen würden. 38% haben „immer" die Kontrolle und 56% haben „manchmal die Kontrolle" darüber, ob sie sich zurückhalten können. Dies bedeutet, dass die Patienten ihre eigenen Handlungen planen und vorherbestimmen können.

In einer Geschichte wird von einem Jungen erzählt, der darüber sprach, welche Gefühle und Reaktionen er nach dem Tod seiner Mutter hatte. Die Patienten sind sich ihrer Krankheit bewusst und äußerten den Wunsch, dass sie „normal" wären (in der Regel wird der Wunsch geäußert, zu gehen und zu laufen).

Gedächtnis

Die meisten der von Eltern erzählten Geschichten weisen auf eine gewisse Gedächtnisleistung hin. Die Patienten erinnerten sich an die Namen und Merkmale von vielen Freunden und Bekannten; sie erinnerten sich an verlegte Gegenstände, sie gaben Richtungsanweisungen im Auto oder erinnerten sich an Sportergebnisse und sportliche Leistungen. Viele der Beispiele bezogen sich auf Ereignisse, die schon mehrere Jahre zurück lagen.

Deduktives und induktives Argumentieren und Verständnis

97% derjenigen, die älter als 5 Jahre alt waren, verstanden die Handlung eines Films und lachten bei Situationskomödien.

85% schauten Sport im Fernsehen an, und 36% dieser Zuschauer „verstanden sehr gut" die Regeln ihres Lieblingssports. Dies bedeutet einen hohe Konzentrationsfähigkeit, eine wache Beobachtungsgabe und eine ausgeprägte Aufmerksamkeit.

Es gibt eine Geschichte über vier Jungen, die sich selbst die Regeln ihres Lieblingssports beibrachten. Sie jubelten für das heimatliche Team, kannten die Namen der Spieler, wussten genau, wann sie sehr gut spielten und schauten sehr aufmerksam bei den Shows nach den Spielen zu. Ein Junge war in der Nachbarschaft der anerkannte Experte bei der aktuellen Baseballsaison.

Sprache und Kommunikation

Wie auf Tafel I zu sehen ist, verständigten sich die meisten Patienten vor allem, indem sie „sprachen" oder „sprachen sowie anders kommunizierten" (91%), um ihre Bedürfnisse zu äußern. Vier Kinder verständigten sich schreiend (10%; im Alter von 3, 5, 7 und 18 Jahren) oder verständigten sich durch „kaum verständliche Laute" als wichtigste Kommunikationsform. Diese vier Kinder mit „wenig ausgeprägter Sprachkompetenz" konnten die Sprache möglicherweise nicht als Kommunikationsmedium nutzen, und ihre Eltern mussten deren Bedürfnisse die meistens erraten.

45% teilten ihre Bedürfnisse „sehr gut" mit, 36% kommunizierten „adäquat", und 19% konnten sich „kaum" verständigen. Mit zunehmendem Alter konnten sich 75% besser verständigen. Somit kann man davon ausgehen, dass die Fähigkeit, sich zu verständigen, ausgeweitet werden kann.

Kleine Geschichte: Ein Junge nutzte seine Kommunikationstafel (Talker?), und buchstabierte die Namen der Kinder, mit denen er spielen wollte.

Schulreife

Von den Patienten, die älter als 4 sind, konnten 58% ein wenig lesen.

13% konnten ihrer Altersstufe entsprechend lesen, 29% berichteten, dass sie ihnen das Lesen Spaß machte und sie nicht von Eltern oder Lehrern dazu angehalten werden mussten.

63% konnten ein wenig Mathematik (einfaches Zählen oder einfache Addition oder Subtraktion), und 15% befanden sich auf dem gleichen Niveau wie ihre Altersgenossen.

Die meisten Patienten befanden sich in ihrer Schulreife unterhalb der Altersnorm und unterhalb anderer Indikatoren für kognitive Fähigkeiten wie die hier dargestellten.

Zwei Eltern (5%) berichteten, dass ihre Kinder in Mathematik und Lesefähigkeit ihren Altersgenossen um ein Jahr voraus waren.

Sozialkompetenz

64% berichteten, dass „Geselligkeit" und „mit Freunden Zeit verbringen" zwei ihrer

beliebtesten Freizeitbeschäftigungen waren. Mit Ausnahme eines 5jährigen hörten alle Patienten (97%) gern Gesprächen zu und beteiligten sich bis zu einem gewissen Ausmaß auch daran.

In den Erzählungen beschreibt man die Patienten als neugierig auf Menschen und Ereignisse und als darauf bedacht, an geselligen Ereignissen beteiligt zu werden. Die Patienten waren liebenswert, und freuten sich in der Regel auf Gespräche mit Erwachsenen und Spielgefährten. Die Beteiligung an Gesprächen war nicht so eingeschränkt durch die physische Beeinträchtigung wie man erwarten würde.

Strategien der Eltern und Möglichkeiten zur Kontrolle der Selbstverletzung

Die häufigsten Strategien der Eltern, um mit Verhaltensproblemen umzugehen, bezogen den jeweiligen Stand der kognitiven Reife und Selbstwahrnehmung des Patienten mit ein. Z. Bsp. sagten 81%:" Ich rede mit ihm" und 76%:"Ich finde etwas interessanter für ihn", das waren „hilfreiche" oder „sehr hilfreiche" Strategien, um mit Selbstverletzung umzugehen. „Ich gebe ihm das, was er will" wurde von 76% als „hilfreich" oder als „sehr hilfreich" angegeben. Diese elterliche Vorgehensweise ist ein Beispiel für die kognitiven Fähigkeiten und steht im Gegensatz zur Manipulation, denn – was die Kinder verlangt hatten, war in der Regel alters- und situationsgerecht. Die jüngeren Kinder wollten im Arm gehalten werden, wollten sich unterhalten, wollten spielen, sie wollten (bestimmte) Spielsachen oder sie wollten fernsehen. Die größeren Jungen wollten in die Unterhaltung eingebunden werden, sie wollten mitentscheiden, sie wollten ein bestimmtes Fernsehprogramm, sie wollten erfahren, wie ein

bestimmtes Ballspiel ausgegangen war, sie wollten ihr Lesebuch haben oder sie wollten die Erlaubnis, daran teilzuhaben, was gerade gemacht wurde. 63% gaben „ich ignoriere ihn, weil er meine Aufmerksamkeit haben will" als „hilfreich" oder als sehr „hilfreich" an, während nur ein Elternpaar sagte, dass „ihm etwas wegnehmen, was er gern möchte" sich als sehr „hilfreich" erwies. Die gebräuchlichste Methode um ein Problem zu beheben war die Einschränkungen anzupassen (83%, „hilfreich" oder sehr „hilfreich") und sich um das körperliche Wohlbefinden zu kümmern (88%, „hilfreich" oder sehr hilfreich").

Die Patienten waren sehr zufrieden damit, wenn sie gut geschützt waren (97%). Die Abb. 1 repräsentiert/zeigt 13 verschiedene Interventionstypen, um zu zeigen, wie häufig Eltern die Interventionen nutzten. Die dreizehn Interventionen sind in 3 Kategorien

eingeteilt, die die Art und Weise der elterlichen Erziehungsmethoden charakterisieren.

Der Faktor ANOVA (eins-zu-eins) für wiederholte Maßnahmen zeigte eine große Wirkung von Interventionen, während individuelle Vergleiche, die den Scheffé F-Test nutzten, zeigten, dass Interventionen um die „Bedürfnisse zu erkennen und den Stress zu reduzieren" öfter angewandt wurden als „Verhaltensinterventionen" oder „Strafinterventionen". Der Unterschied zwischen Verhaltensinterventionen und Strafinterventionen war nicht bedeutend.

Abb.1 Intervention

Wie in Abb. 2 zu sehen, stellten die Eltern einen Bezug her zwischen Selbstverletzung und Stress. Für die Patienten waren dieselben Ereignisse genauso stressig wie für Menschen mit normalen kognitiven Fähigkeiten. Interessante Ereignisse wie „Auto fahren", „mit Freunden spielen" und „Spaß haben" wurden mit dem niedrigsten Stresspegel charakterisiert. Stressige oder langweilige Situationen wie „Kranksein", „neue Menschen oder neue Situationen" oder „zu wenig Schutz beim Baden bspw." wurden mit der höchsten Rate von Selbstverletzungen bezeichnet. Befragt nach Situationen zum Stressabbau zählten die Eltern interessante Aktivitäten und gesellige Interaktionen auf, die die Patienten beschäftigtenund auf eine Aufgabe konzentrieren ließ.

Diskussion

Die Diagnose geistiger Entwicklungsverzögerung impliziert ein allgemeines Defizit an einer Vielzahl von kognitiven Fähigkeiten. Mithilfe dieser Definition kann man ganz klar aus den Ergebnissen dieser Untersuchung herauslesen, dass die meisten Patienten mit L-N nicht geistig behindert sind. In dieser Statistik mit 42 Patienten scheint ein einziger Junge bedeutsame kognitive Beeinträchtigungen zu haben. Diese Zusammenfassung basiert auf den Ergebnissen eines Elternfragebogens, bei dem die Kinder über eine ganze Spannbreite von völlig normalen Alltagssituationen beobachtet wurden. In acht der neun Kategorien, mithilfe derer die kognitiven Fähigkeiten beschrieben werden, schienen die Fähigkeiten der Patienten völlig im Normbereich zu liegen. Ihr Gedächtnis sowohl für neuere als auch für länger zurückliegende Ereignisse schien ausgezeichnet zu sein, verfügten über eine gute Selbstwahrnehmung und waren sehr sozial eingestellt.

In ihren intellektuellen Fähigkeiten befanden sich 85% der Patienten unterhalb des Klassendurchschnitts. Nur 4 von ihnen konnten in der 5. Klasse oder eine Klasse darüber lesen. Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungen. Erstens könnte das auf eine bestimmte Lernschwäche im Bereich der Mathematik und der Lesekompetenz hinweisen. Trifft das zu, dann würde das direkt und unausweichlich mit der Krankheit zusammenhängen. Eine zweite Möglichkeit hängt mit dem Leistungsdruck zusammen. Stress bewirkt Selbstverletzung und beunruhigt die Patienten. Möglicherweise werden schulische Herausforderungen als stressig wahrgenommen und rufen Selbstverletzungen und andere negative Reaktionen hervor, so dass Konzentration und Interesse an den schulischen Aufgaben erschwert sind. Dies würde einen indirekten, aber nicht unbedingt unvermeidbaren Einfluss der Krankheit auf den möglichen Lernerfolg bedeuten. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, dass dem Lehrer wegen des unartikulierten Sprechens und der motorischen Beeinträchtigung ein Feedback fehlt. Wenn ein Lehrer oder die Eltern nicht wissen, was gelernt wurde und welche Themen von Interesse sind, dann kann man kein kontinuierliches Lern- und Βιldungsprogramm aufbauen. Diese dritte Möglichkeit hat einen indirekten mit moderner Technologie aber nicht unvermeidbaren Zusammenhang mit der Erkrankung.

Es gibt drei Quellen von möglichen Schieflagen in diesen Ergebnissen. Die erste betrifft die Zuverlässigkeit der elterlichen Berichte. Tendierten diese Eltern zur Übertreibung? Zugunsten der elterlichen Zuverlässigkeit sprechen die übereinstimmenden Berichte der verschiedenen Eltern. Der Fragebogen im multiple-choice-Verfahren führte zu außergewöhnlich ähnlichen Antworten über das gesamte Spektrum der Untersuchung. Die Eltern beantworteten

detaillierte physische Ereignisse (motorische Fähigkeiten, Heftigkeit und Topographie der Selbstverletzung), Rückblick ( erstes Auftreten der physischen und Verhaltenssymptome ), Fähigkeiten und Vorlieben ( soziale Fähigkeiten, alltägliche Neigungen und Abneigungen, Faktoren, die Selbstverletzungen hervorrufen ), Leistungsbereich unterhalb der Norm (Lesekompetenz und Mathematik), Strategien der Eltern, um das Verhalten der Kinder zu steuern, sowie die Art und die Qualität von Anekdoten, waren bemerkenswert für alle 42 Antworten. Wären die Eltern unzuverlässig in ihren Antworten, dann hätte man ein größeres Spektrum der Antworten bekommen. Andere Untersuchungen haben offiziell die Zuverlässigkeit der Eltern von Söhnen mit L-N gewürdigt, indem sie die Beobachtungen der Eltern verglichen mit den Beobachtungen von geschulten Spezialisten. Sie fanden die Einschätzungen der Eltern bemerkenswert nahe an denen des Spezialistenteams, gab es aber Diskrepanzen, so lag dies in der Regel daran, dass die Eltern die Heftigkeit des Patientenverhaltens überschätzten.

Die zweite mögliche Abweichung besteht in der Auswahl der Patienten, die man für diese Studie ausgewählt hat. Während mit 42 Patienten die größte Forschungsgruppe für Patienten mit der L-N-Erkrankung bis dato aufgestellt wurde, bezieht die Gruppe sich nur auf sich selbst und ist möglicherweise nicht repräsentativ in Bezug auf die Gesamtbevölkerung. Nur 6 Patienten aus unserer Forschungsgruppe wohnten in einer Einrichtung, und diese 6 verbrachten beträchtliche Zeit gemeinsam mit ihrer Familie an den Wochenenden, in den Ferien- und Urlaubszeiten. Es scheint, dass es nur eine kleine Anzahl von Patienten gibt, die nicht in Einrichtungen leben, wenn man an die Schwere der L-N-Erkrankung denkt – es mag sein, dass diejenigen Eltern, die die Patienten zu Hause betreuen, durch die besonderen kognitiven Fähigkeiten ihrer Söhne motiviert sind. Möglicherweise engagieren sich die Eltern, die den Fragebogen beantwortet haben, in Forschungsaktivitäten und Elternselbsthilfegruppen und verfügen über einen höheren Standard an Sozialkompetenz, Bildung und emotionaler Stärke als andere. Die 12 Elternhäuser, die nicht antworteten, und kurz telefonisch interviewt wurden, betreuten alle ihre Söhne zuhause. Man weiß nicht, wie viele Patienten es insgesamt gibt, und wie viele von ihnen zuhause leben. Wir wissen von nur 6 Patienten in der Region von New York City einer Population von etwa 8 Millionen. Dies bedeutet den Faktor von 1 zu 1,3 Millionen. Das ist auch ein viel geringerer Faktor als der von 1 zu 380.000, den Letts und Hobson 1975 geschätzt hatten. Diese 42 Patienten repräsentieren einen beträchtlichen Prozentsatz der US-amerikanischen Bevölkerung, weshalb die Ergebnisse dieser Studie möglicherweise doch repräsentativ als Ganzes sein könnten.

Die dritte Quelle möglicher Abweichungen betrifft die Berechtigung des Fragebogens, um kognitive Fähigkeiten einzuschätzen. Standardisierte Tests sind nicht geeignet, um diese Gruppe zu testen, während der vorliegende Test, der auf den Schlussfolgerungen beruht, die man aus den Beobachtungen von Verhalten und Reaktionen auf spontane und unvorhersehbare Ereignisse gemacht hat, eine vernünftige Alternative zu sein scheint. Die Kategorien von kognitiven Fähigkeiten, die in dieser Studie vorgestellt werden, schließen sich weder aus, noch behandeln sie die möglichen Sichtweisen der Wahrnehmung erschöpfend und die Eingruppierung der Beobachtungen in die eine oder andere Gruppe ist relativ ausgeglichen. Vergleiche mit anderen Patientengruppen sind nicht möglich, weil der Fragebogen speziell darauf zugeschnitten ist, die Fähigkeiten der L-N-Patienten in spezifischen Situationen zu entdecken. Die Ergebnisse müssen jedoch Gültigkeit erlangen und die Meinungen einer wachsenden Anzahl von Experten bestärken, die individuelle Patienten kennen gelernt haben. Die Zusammenfassung, die auf dieser Methodik basiert, unterscheidet sich von früheren Berichten vor allem darin, dass man von normalen kognitiven Fähigkeiten ausgeht. Andere Studien haben normale kognitive Fähigkeiten in einzelnen Individuen als Ausnahme bezeichnet, während unsere Ergebnisse darauf hinweisen, dass sie die Regel sind.

Diese Methodik bietet zwar keine Messung des IQ, dafür kann sie aber die kognitiven Fähigkeiten einschätzen, die bei der Planung von Bildungsmaßnahmen, Verhaltenssteuerung, Elternbildung und Forschungsplänen gebraucht werden. Diese Ergebnisse regen an, dass Eltern und Lehrer sich am Verhalten des Patienten orientieren sollen, um über Bildungs- und Erziehungsmaßnahmen zu entscheiden. Der „richtige" Interaktionsmodus resultiert in einem niedrigen Problemverhalten. Der „korrekte" Interaktionsstil berücksichtigt die Sozialkompetenz, die Selbstwahrnehmung, die emotionale Entwicklung, dass Gedächtnisvermögen und das Sprachvermögen dieser Kinder. Die Forschungsmethodik, die auf in der geistigen Entwicklung verzögerte Menschen angewendet wird, kann auch auf Menschen mit der L-N-Erkrankung angewendet werden. Diese Patienten verstehen das Konzept eines Experiments, die Hypothese, das erforderliche Procedere und das erwartete Ergebnis. Hoffnung und Erwartung rufen den Placebo-Effekt hervor und, anstatt strikt auf die Verhaltenseventualitäten oder die medikamentöse Therapie in der Untersuchung zu reagieren, kann das Verhalten der Patienten sich ändern, weil sie versuchen, dem Forscher zu „gefallen". Zustimmung für eine Forschungsstudie soll sowohl vom Patienten als auch von den Eltern eingeholt werden. Der Versuch, die intellektuellen Fähigkeiten durch aufmerksames

Beobachten einzuschätzen, ist ein interessantes Problem, das weiter entwickelt werden muss, wenn man besondere Menschen angemessen wahrnehmen will.